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Gemeindebau: Warum sich die Wiener Wohnen noch leisten können

Gemeindebau

Warum sich die Wiener Wohnen noch leisten können

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    Der Karl-Marx-Hof, fertiggestellt 1930 ist nicht der erste, aber wohl der bekannteste Gemeindebau in Wien.
    Der Karl-Marx-Hof, fertiggestellt 1930 ist nicht der erste, aber wohl der bekannteste Gemeindebau in Wien. Foto: imago

    Henriette Arienti öffnet die Tür, sie hat selbst gebackenen Apfelkuchen und Tee für den Gast vorbereitet. Dann fragt die 62-Jährige noch, wo man sich unterhalten möchte: „Im Sonnenzimmer oder im etwas dunkleren Wohnzimmer?“ Dort werfen die Bäume vor dem Fenster Schatten, ein kühler Platz an diesem Spätsommertag. Arienti geht den Gang entlang, Richtung Wohnzimmer. „Ja, ich habe großes Glück, hier zu wohnen“, sagt sie.

    Die drei Kinder sind längst ausgezogen, von ihrem Ehemann ist sie geschieden, erzählt die Hauptschullehrerin. Nun hat sie die 90 Quadratmeter im Wiener Villenviertel Döbling für sich allein – Wohnzimmer, Sonnenzimmer, Arbeitszimmer, Schlafzimmer, dazu Küche und Bad. Gut, der Hund und der Kater sind noch da. Letzterer strolcht meist in den Gärten zwischen den Häusern umher. Wird es ihm dort zu kalt, maunzt er vor dem Fenster der Parterrewohnung.

    Vier Zimmer, 90 Quadratmeter, 380 Euro kalt

    Henriette Arienti hat fast ihr ganzes Leben hier gewohnt. Sie war ein Jahr alt, als ihre Eltern 1957 in den gerade fertiggestellten Gemeindebau zogen. Ihr Vater, ein selbstständiger Installateur mit Geschäft im 1. Bezirk, zahlte 350 Schilling Miete, knapp 30 Euro. „Ich erinnere mich gut daran, weil ich das Geld immer zur Hausmeisterin bringen musste, die den Erhalt ins Zinsbuch eintrug.“ Und heute? Arienti lächelt. Vier Zimmer, 90 Quadratmeter, 380 Euro kalt.

    In deutschen Großstädten kann man von solchen Summen nur träumen. Vielerorts haben die Mieten extrem angezogen, Preisbremsen zeigen kaum Wirkung. Wien beweist, dass es auch anders geht. Mehr als 1,8 Millionen Menschen leben in der österreichischen Hauptstadt – 62 Prozent davon in einer öffentlich geförderten Wohnung. Herzstück ist der Gemeindebau mit insgesamt 220000 Wohnungen, errichtet und vermietet von der „

    Wer verstehen will, warum sich die Politik in Wien um die Mieter kümmert, muss mehr als hundert Jahre zurückgehen. Anfang des 20. Jahrhunderts zieht es immer mehr Menschen in die Donaustadt, 1910 leben hier mehr als zwei Millionen Bürger. Die Wohnverhältnisse sind katastrophal. 300000 Wiener können sich keine Wohnung mieten. Die „Bettgeher“, die lediglich für ein paar Stunden eine Liegestatt benutzen dürfen, werden zum Symbol für die Not in der Stadt. Nach dem Ersten Weltkrieg übernehmen die Sozialdemokraten das Rathaus. In der legendären Zeit des „Roten Wien“ treiben sie den Sozialwohnungsbau voran, allein in den Jahren zwischen den Weltkriegen entstehen 63000 Wohnungen. 1934 lebt bereits jeder zehnte Bürger im Gemeindebau, heute ist es jeder vierte.

    Die Seestadt Aspern im Südosten Wiens ist ein Beispiel für die neuen Stadtviertel, die entstehen. 30000 Menschen sollen bis 2028 dort wohnen können, 7000 sind bereits eingezogen. Eine U-Bahn wurde in den neuen Vorort gebaut, Geschäfte, Betriebe und Freizeiteinrichtungen folgten. Das Wiener Opel-Werk liegt im Viertel und gibt vielen Arbeit. Aspern ist bewusst nicht als anonyme Schlafstadt geplant, sondern als ein lebendiges Viertel mit Schulen, Bibliotheken und Badesee. Eine Alleinerziehende, die an diesem Nachmittag in der Buchhandlung stöbert, sagt: „Ich kann hier ins Badetuch gewickelt mit meinem Kind zum See gehen und zahle eine Miete, die ich mir leisten kann.“

    Die Nachbarn rauchen zu viel und nehmen keine Rücksicht, klagt er

    Die Josefstadt, 1690 von Kaiser Josef I. als Wiener Vorstadt gegründet, ist eigentlich die Heimat von Professoren, Hofratswitwen und gut situierten Familien mit mehrstöckigen Gründerzeithäusern. Auch hier gibt es einen Gemeindebau. Bernhard Gruber hat die meiste Zeit hier gelebt. Seinen echten Namen will der 45-Jährige nicht sagen, schließlich hat er einiges an seiner Wohnsituation auszusetzen. Er zahlt zwar nur 350 Euro für 90 Quadratmeter, ohne Nebenkosten. Doch die Nachbarn gehen ihm auf die Nerven. „Sie rauchen so viel, dass ich es in meiner Wohnung rieche, machen laute Musik und nehmen keine Rücksicht“, kritisiert der Akademiker. „Sie kommen aus Kulturen, in denen andere Regeln herrschen als bei uns.“ Er hat überlegt auszuziehen. Doch dann hat er an die Zukunft gedacht, an seine Rente, die nicht allzu üppig ausfallen dürfte. „Ich habe mich entschieden zu renovieren“, sagt er.

    „Das Leben in Sozialwohnungen gilt in Wien nicht als Stigma, sondern als Normalität“, sagt Anita Aigner, Architektursoziologin an der Technischen Universität Wien. Gemeindebauten sind begehrt. Wer sich für eine Wohnung bewirbt, muss mindestens zwei Jahre in Wien leben und darf als Alleinstehender nicht mehr als 45510 Euro im Jahr verdienen. Steigt das Gehalt im Laufe der Jahre, muss man deswegen nicht ausziehen. Wiens Baustadträtin Kathrin Gaal sagt: „Mit bewusst höher gesetzten Einkommensgrenzen hat auch die breite Mittelschicht Zugang zu diesen Wohnungen. Das sorgt für eine gute soziale Durchmischung.“ Ghettos soll es im Gemeindebau nicht geben.

    Hier wohnen auch die Besserverdiener für wenig Geld

    Bis heute können Eltern ihre Wohnung an die Kinder weitergeben – allerdings nur noch unter bestimmten Voraussetzungen. Der ehemalige grüne Abgeordnete Peter Pilz, nun für die „Liste Pilz“ im Parlament, hat seine Wohnung von den Großeltern „geerbt“. Der Goethehof liegt im Osten Wiens, zwischen Donau und dem Naherholungsgebiet Alte

    Für Pilz ist das ein Aufstieg. Mehr als 40 Jahre hat er mit seiner Frau auf 61 Quadratmetern gelebt. Vor kurzem ist er von Stiege 14 auf Stiege 18 gezogen. „Jetzt lebe ich auf luxuriösen 90 Quadratmetern – eine drastische Verbesserung. Ich zahle dafür auch deutlich mehr, 850 Euro.“ Luxus im öffentlich geförderten Gemeindebau, geht das zusammen? Für Pilz schon. „So bleiben Besserverdiener im Gemeindebau und der Goethehof trotzdem so, wie er immer war – nämlich sozial kräftig durchmischt“, sagt der Parlamentarier. Er legt Wert auf die Aussage, er habe zusätzlich zu seiner Miete immer an die Caritas und die Stadt Wien gespendet.

    Dennoch bleibt die Wiener Wohnpolitik eine Erfolgsgeschichte. Eine, die Fragen aufwirft. Zum Beispiel, ob so ein Modell auch in deutschen Großstädten funktionieren kann, wo Mietwohnungen knapp sind und die Preise immer weiter anziehen? Jahrelange Versäumnisse lassen sich so schnell nicht aufholen, gibt die Wiener Architektursoziologin Aigner zu bedenken. Aber letztlich ist es vor allem eine Frage des Geldes. 600 Millionen Euro im Jahr steckt die Stadt Wien allein in die Wohnbauförderung. Das Modell stößt auch bei Politikern und Städteplanern in Deutschland auf Interesse. Der Chef der Augsburger Wohnungsbaugesellschaft, Mark Dominik Hoppe, war schon hier. Und zuletzt auch Hessens SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel, der nach Lösungen für den angespannten Markt im Rhein-Main-Gebiet suchte. Mehr staatlich geförderter Wohnungsbau müsse her, das sei die beste Preisbremse. „Wien bestärkt mich, dass es Alternativen gibt.“

    Wien hat seine Wohnungen nicht verkauft - ganz im Gegensatz zu Bayern

    Und noch etwas hat Wien anders gemacht: Die Stadt hat ihre Wohnungen nie verkauft, sondern stattdessen neue gebaut. In Bayern dagegen hat man 33000 GBW-Wohnungen privatisiert – jetzt aber fehlen Sozialwohnungen. Dabei ist auch in Wien der Wohnungsmarkt angespannt, die Stadt wächst, die Mieten auf dem freien Markt steigen. Mit durchschnittlich etwa 13 Euro pro Quadratmeter liegen sie aber noch deutlich unter München.

    Doch die Stadt versucht gegenzusteuern. Sie hat nach wie vor 2,8 Millionen Quadratmeter Bauland in ihrem Besitz und beschränkt den Weiterverkauf durch strenge Regeln. „Leistbares Wohnen heißt für mich, dass maximal ein Drittel des Einkommens für Wohnen ausgegeben wird“, sagt Baustadträtin Kathrin Gaal. Das durchzusetzen, ist auch in Wien kompliziert.

    Die SPÖ-Politikerin will den geförderten Wohnungsbau neu organisieren. Auch, um Bodenspekulationen zu begrenzen, die in der Vergangenheit oft Schlagzeilen machten. Die Stadt soll nur noch dann Grundstücke für den geförderten Wohnungsbau zur Verfügung stellen, wenn sie 40 Jahre lang zu niedrigen Preisen weiterverkauft werden. Auch die Mieten sollen gedeckelt werden. Die Regierung von Sebastian Kurz dagegen will Wohneigentum fördern. Das heißt, „sie stärkt Wohnungen als Investitionsgut“, kritisiert Gaal. „Dabei ist es aus unserer Sicht ein Grundrecht wie Arbeit und Bildung.“

    Henriette Arienti wird im Januar pensioniert. Sie muss sich keine Sorgen machen, dass ihre Rente nicht für die Miete reichen könnte. „Ich habe genug, um wie bisher nach Italien zu reisen und meinen drei Kindern manchmal Geld zu geben. Gäbe es den Gemeindebau nicht, wäre das unmöglich.“ Ihr Sohn, erzählt sie noch, arbeitet als Lehrer in Brandenburg. Er würde lieber in Berlin wohnen. „Aber dort sind die Mieten ja unerschwinglich.“

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