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Gazelle Sharmahd im Interview: „Mein Vater ist ermordet worden“

Interview

„Mein Vater ist auf brutale Art und Weise gefoltert und ermordet worden“

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    Gazelle Sharmahd ist die Tochter des im Iran hingerichteten Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd.
    Gazelle Sharmahd ist die Tochter des im Iran hingerichteten Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Frau Sharmahd, Ihr Vater wurde vor einer Woche vom iranischen Regime ermordet. Das Auswärtige Amt hatte immer wieder geäußert, sich „auf höchster Ebene“ für ihn einzusetzen, es werde „alles getan“. Haben Sie inzwischen eine Antwort darauf, was das bedeutet hat: „alles getan“?
    GAZELLE SHARMAHD: Wir haben nie richtige Antworten bekommen – und das ist auch seit der Nachricht vom Tod meines Vaters so geblieben. Das ist so, weil Deutschland mit einem islamistischen Staat, mit Mördern und Geiselnehmern Geschäfte macht und weiter diplomatische Beziehungen unterhalten will. Eine Geiselnahme ist ein großes Problem für den Staat, der lieber seine wirtschaftlichen Interessen mit den Geiselnehmern schützt als seine eigenen Staatsbürger. Er macht sich unglaubwürdig. Dass mein Vater zu 100 Prozent unschuldig war und mit seiner Kritik am iranischen Terrorregime lediglich vom Recht seiner freien Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat, hat sogar die UN bestätigt. All das wird von der Bundesregierung nicht thematisiert.

    Sie haben also keine Antworten erhalten bislang?
    SHARMAHD: Die Bundesregierung hat seit Tag eins der Geiselnahme meines Vaters mit mir gesprochen, regelmäßig, das schon. Aber es waren leere Worte. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Bundesregierung wirklich auf unserer Seite steht. Mein Vater war 1500 Tage in Isolationshaft. Ohne Sonne, ohne frische Luft, ohne Medikamente, ohne menschlichen Kontakt. Er ist auf brutale Art und Weise gefoltert und ermordet worden. Beileidsbekundungen auch von der Bundesregierung nehme ich nicht an – bis überhaupt aufgeklärt ist, wie er gestorben ist.

    Was meinen Sie damit?
    SHARMAHD: Man vertraut Terroristen nicht. Wir wissen nicht, wie mein Vater gestorben ist, wer ihn umgebracht hat. Was heißt das, verstorben? Selbst, wenn er einen Herzinfarkt gehabt hätte nach vier Jahren Folter und Haft, wäre es ein Mord. Ich denke, die Bundesregierung hat kein Interesse daran, die Hintergründe offenzulegen. Weil sie sich mitschuldig gemacht hat. Sie wusste, dass mein Vater in der Folterzelle sterben wird, wenn sie ihn nicht rausholt. Sie hat seinen Tod in Kauf genommen.

    Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Zusammenhang mit der Ermordung Ihres Vaters von einem „Skandal“ geschrieben, Außenministerin Annalena Baerbock hat „schwerwiegende Folgen“ in den Beziehungen zum Iran angekündigt und drei Generalkonsulate schließen lassen. Wie nehmen Sie solche Worte wahr?
    SHARMAHD: Diese Worte lassen mich völlig kalt. Ich beurteilte Politiker nicht nach Worten, sondern nach Taten. Worte sind hohl. Was haben Sie getan? Was wurde an Tag eins getan, als ein deutscher Staatsbürger vor den Augen der Welt in den Iran verschleppt wurde? Was haben Sie getan, als er 1500 Tage gefoltert wurde, als ihm die Zähne ausgeschlagen wurden, als er nach Schauprozessen mit seinem deutschen Pass auf einem Projektor an der Leinwand vorgeführt wurde? Was haben sie getan, als ihm vorgeworfen wurde, dass er ein Geheimagent des Bundesnachrichtendienstes sei, der mit der deutschen Botschaft in Teheran Terrorismus betrieben habe? Haben sie darüber gesprochen? Oder geschwiegen? Was haben sie getan, als mein Vater mit der Todesstrafe belegt wurde? Was haben sie getan, als das Terrorregime gesagt hat, wen sie im Austausch für meinen Vater haben wollen, den Terroristen Assadolah Assadi nämlich?

    Die Bundesregierung soll das mit dem Verweis abgelehnt haben, ein Rechtsstaat zu sein und solche Gefangenenaustausche nicht zu machen – um nicht erpressbar zu werden…
    SHARMAHD: Schließlich wurden diese Gefangenenaustausche doch gemacht – mit anderen europäischen Staaten wie Belgien, Schweden, Österreich. Mein Vater wurde zurückgelassen. Er war der einzige Deutsche mit einem Todesurteil, der Einzige, der verschleppt wurde. Der Einzige, der dem Regime wirklich gefährlich erschien, weil er Plattformen für Regimekritiker schuf, weil er Unrecht aufdeckte. Warum wurde er zurückgelassen? Warum hat der Rechtsstaat Deutschland einem Gefangenenaustausch mit Russland zugestimmt und im Gegenzug einen verurteilten russischen Auftragsmörder freigelassen? Und: Was haben die Behörden für meinen Vater getan?

    Denken Sie – ähnlich wie Mariam Claren, die Tochter der noch im Iran inhaftierten Deutschen Nahid Taghavi – Ihr Vater wäre längst frei, wenn er Klaus Müller hieße und nicht Jamshid Sharmahd?
    SHARMAHD: Wir wissen, dass die Klaus Müllers alle zurückgebracht wurden. Seit mein Vater und Mariams Mutter Geiseln des islamischen Regimes sind, sind andere deutsche Geiseln zurückgebracht worden. Wir wissen, dass der damalige Außenminister Guido Westerwelle 2010 nach Teheran geflogen ist, um zwei deutsche Journalisten aus dem Iran rauszuholen. Mein Vater hat deutsche Schulen besucht, er hat in deutschen Unternehmen gearbeitet, deutsche Arbeitsplätze geschaffen, ist in einem deutschen Haushalt aufgewachsen. Wir haben natürlich das Problem, dass wir als Bürger zweiter Klasse wahrgenommen werden, bewusst oder unbewusst. Aber es ist nicht das einzige Problem.

    Ihr Vater hat sich für die Exil-Oppositionsbewegung Tondar engagiert. Werden Sie seine Arbeit fortführen?
    SHARMAHD: Als er vor vier Jahren verschleppt und inhaftiert wurde, habe ich ihm versprochen: Entweder, ich hole Dich raus, oder ich mache weiter. Aus Tondar ist die grüne Bewegung im Iran entstanden und die Frauen-Leben-Freiheit-Bewegung. Es braucht internationale Einigkeit, um die islamistischen Regime auch im Irak, im Libanon, in Afghanistan langfristig zu Fall zu bringen. Dafür werde ich kämpfen, solange ich lebe. Der erste Schritt ist jetzt, den Leichnam meines Vaters nach Hause zu holen. Der zweite, alle westlichen Geiseln aus dem Iran freizubekommen. Auch alle EU- und US-Bürger müssten raus aus dem Iran. Wir brauchen dort kein Konsulat. Deutsche Unternehmen müssen da raus. Die Mitarbeiter sind in Gefahr, dort auch als Geiseln genommen zu werden. Dass mit meinem Vater ein Deutscher ermordet wurde, ist eine Nachricht an alle westlichen Staaten: eine Kriegserklärung.

    Zur Person

    Gazelle Sharmahd, 42, ist die Tochter des im Iran hingerichteten Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd. Ihr Vater wurde 1955 in der iranischen Hauptstadt Teheran geboren, war im Alter von sieben Jahren nach Deutschland gekommen und wuchs in Peine und Hannover auf. Seit 1995 besaß er auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Gazelle Sharmahd ist Krankenschwester.

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    1 Kommentar
    Franz Xanter

    So ist das eben, wenn man unbedingt weiterhin alle möglichen Gegebenheiten, sowohl wirtschaftlicher als auch sonstiger Art, von Seiten DEU oder der EU sich offen halten will. In solch einer Situation kann man nicht erwarten, dass bei Gesprächen oder sonstigen Aktionen, wenn überhaupt, etwas Substanzielles herauskommt. Otto Normalbürger würde sagen, "dummes Geschwafel", die Politik sagt "konstruktive und erfolgversprechende Gespräche".

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