Der Krieg in Gaza bewegt sich auf einen gefährlichen Punkt zu. Überzeugungen schwinden, utopische Kriegsziele werden krampfhaft verteidigt. Gleichzeitig beginnt allen Seiten zu dämmern, dass sie am Ende nicht gewinnen können. Die klaren Verlierer, die Leidtragenden sind schnell benannt: Da sind die Opfer des beispiellosen Massakers der Hamas vom 7. Oktober, die Geiseln und deren Familien und Freunde. Da sind die Zehntausenden Toten unter den Palästinensern in Gaza, die rund 1,7 Millionen Vertriebenen – auch sie Geiseln der Terrororganisation Hamas, die gleichgültig und kalt eingerechnet hat, dass ein Gegenschlag der Israelis Tausende Leben kosten und Gaza in eine Schuttwüste verwandeln wird.
Auch in Israel wachsen die Zweifel von Tag zu Tag, dass das Land aus diesem Krieg als Sieger hervorgehen wird. Streitkräfte und Geheimdienste, für viele Experten eigentlich die effektivsten der Welt, haben den Widerstand der Hamas wie schon vor dem 7. Oktober völlig unterschätzt. Die Milizen kämpfen noch immer in Gaza, verschanzen sich in Tunneln und sind weiter in der Lage, Raketen auf Israel abzufeuern. Militärisch wird die Hamas zumindest in Gaza entscheidend geschwächt werden, aber ihre völlige Vernichtung ist eine gefährliche Illusion der israelischen Regierung. Zu befürchten ist eher eine weitere Fanatisierung.
Diplomatisch entwickelt sich der Gaza-Krieg für Israel zu einem Desaster
Diplomatisch entwickelt sich der Krieg zu einem Desaster für Jerusalem. In das verständliche weltweite Entsetzen über die unfassbar hohe Zahl an Todesopfern unter der palästinensischen Zivilbevölkerung mischt sich Hass und Hetze gegen den Staat Israel, ja offener Antisemitismus. Ein anschwellender Chor fordert von Israel, sofort und bedingungslos die Waffen niederzulegen. Seltener hört man von Appellen, genau dies von den Hamas-Terroristen zu fordern, die diesen Krieg schließlich ausgelöst haben. Israel wird des Völkermordes bezichtigt, während das klar formulierte Ziel der Hamas, den Staat Israel auszuradieren, oft nonchalant übergangen wird.
Einig immerhin sind sich Verteidiger, moderate Kritiker der in Teilen tatsächlich unverhältnismäßigen Kriegsführung Israels und sogar die meisten arabischen Staaten in einem Postulat: Das Recht auf einen arabischen Staat wird als einzig gangbarer Weg bezeichnet, den Konflikt auf Dauer zu überwinden. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu lehnt die Zweistaatenlösung hingegen kategorisch ab, wie übrigens auch der Iran und natürlich die Hamas. Eine bemerkenswerte Übereinstimmung. Während Netanjahu dafür aber international Prügel bezieht, hält sich die Kritik an Teheran und der Hamas interessanterweise in Grenzen.
Die völkerrechtswidrige und inhumane Siedlungspolitik wurde von Netanjahu noch forciert
Netanjahu ist mit seiner Ablehnung der Zweistaatenlösung auf seine Weise konsequent. Er hat alles dafür getan, dieses Modell durch eine abstruse Forcierung der völkerrechtswidrigen und inhumanen Siedlungspolitik im Westjordanland zu zerschießen. Ein alternatives Konzept hat seine zerstrittene Regierung nicht. Obwohl viele Israelis einen Palästinenserstaat fürchten, misstraut eine klare Mehrheit dem Regierungschef, der rechtsextreme Hetzer in seinem Kabinett zugelassen hat, zutiefst. Mit Netanjahu dürften Friedensinitiativen kaum realistisch sein.
Zwei Punkte sind dafür essenziell: Die Hamas darf nie wieder in der Lage sein, Israel von Gaza aus zu bedrohen. Gleichzeitig muss den Palästinensern eine Perspektive für eine bessere Zukunft gegeben werden. Ohne Hoffnung wird es keine Chance auf Frieden geben.