Der grüne Höhenflug beflügelt auch im Ausland Hoffnungen. Die New York Times feierte jüngst die Grünen als eine „pragmatische Partei mit einem entschlossenen Ansatz in der Außenpolitik“, welche „der deutschen Mitgliedschaft in der Nato und einer starken transatlantischen Allianz verpflichtet“ sei. Eine Analyse des European Council on Foreign Relations erwartet von einer schwarz-grünen Koalition „endlich eine kohärente Verteidigungspolitik“. Diese Hoffnung wird höchstwahrscheinlich enttäuscht werden. In zentralen Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik stehen die Grünen quer zur Positionierung unserer wichtigsten Nato-Verbündeten.
Sicherlich sind die Grünen heute außenpolitisch Lichtjahre von ihren Anfangszeiten entfernt. Die einst bis aufs Äußerste bekämpfte Nato ist heute „unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Sicherheitsarchitektur“. Grüne stehen für eine starke EU und deutsche Investitionen in Multilateralismus. Sie kämpfen für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte und gegen autoritäre Machthaber auch in der EU, wie den von CDU und CSU lange hofierten ungarischen Premier Orbán. Norbert Röttgen hat Recht: „Die Grünen haben die klarste Position aller Parteien zu China und Russland.“ In der Chinapolitik der Grünen gibt der von Peking gerade mit Sanktionen belegte Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer den Ton an, nicht der für Äquidistanz Europas zwischen den USA und China plädierende Jürgen Trittin.
Bei den Grünen geben noch immer die Parteilinken den Ton an
Die Parteivorsitzenden Baerbock und Habeck argumentieren: „Nur gemeinsam können Europa und Amerika global eine demokratische Alternative zum autoritären Hegemonialstreben Chinas bilden.“ Merkels Lieblingsprojekt, das jüngst verhandelte EU-China-Investitionsabkommen, lehnen die Grünen ab genauso wie die Nordstream2-Pipeline. Nach 16 Jahren konzentrierter Oppositionsarbeit haben die Grünen heute einige der besten außenpolitischen Stimmen mit vielen guten Ideen. Doch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gibt noch immer die Parteilinke in zentralen Fragen den Ton an. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato wird als „willkürlich“ abgelehnt.
Die Grünen wollen die Bundeswehr „sicher ausstatten“, doch in Zeiten knapper Kassen und vieler grüner Wahlkampfversprechen klingt das eher ungefähr und unsicher. Das deutsch-französische Kernprojekt eines gemeinsamen Kampfjets könnte Opfer der grünen Ablehnung von Drohnen und nuklearer Bewaffnung werden. Baerbock fordert das Ende von „Europas Teilhabe an der nuklearen Abschreckung der USA gegenüber Russland“, den Abzug der US-Atomwaffen und den Beitritt zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag. Wenn sich grüne Abweichler wie die Ko-Vorstand der Boell-Stiftung, Ellen Ueberschär, zur nuklearen Abschreckung bekennen, werden sie von Altlinken wie Trittin als Verbündete des „rechten Flügel des außenpolitischen Establishments Deutschlands“ stigmatisiert, ohne dass prominente Realos ihr zur Seite sprängen. Zu groß ist das Bedürfnis der Parteispitze nach Geschlossenheit im Wahljahr.
Armin Laschet muss Annalena Baerbock zur Rede stellen
Es ist jetzt an Baerbocks Herausforderer Armin Laschet, diese Harmonie zu stören. Der CDU/CSU-Kandidat steht für das Zwei-Prozent-Ziel und nukleare Abschreckung. Er kann die grüne Kandidatin damit konfrontieren, wie genau ihre Ablehnung von Abschreckung zusammengeht mit der Charakterisierung von Kreml und Peking als rücksichtslose und aggressive Mächte und wie genau die Grünen den Ängsten unserer mittel- und osteuropäischen Nachbarn Rechnung tragen wollen.
Baerbock kann Laschet im Gegenzug zur Rede stellen mit Blick auf Abrüstung, der Nähe von CDU und CSU zu im Auftrag von autoritären und korrupten Mächten agierenden Lobbyisten und der Notwendigkeit eines klaren Bruchs mit Merkels Chinapolitik. Und vielleicht fragt auch ein Journalist beide danach, wie genau sich Deutschland und Europa für den Tag X vorbereiten sollten, an dem die USA ihre Sicherheitsgarantien für Europa zurückziehen. Eine grün-schwarze Koalition wird Deutschland wohl kaum die Sicherheits- und Verteidigungspolitik bescheren, die unsere Nato-Verbündeten erwarten. Aber zumindest könnten Baerbock und Laschet uns im Wahlkampf die außenpolitische Debatte liefern, die unser Land braucht.
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