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Gastbeitrag: DIW-Chef Fratzscher: Kommunen benötigen mehr Hilfe bei der Integration

Gastbeitrag

DIW-Chef Fratzscher: Kommunen benötigen mehr Hilfe bei der Integration

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    Flüchtlinge sind in einer Notunterkunft in einer Sporthalle untergebracht. Die Kommunen stöhnen über die sich türmenden Aufgaben.
    Flüchtlinge sind in einer Notunterkunft in einer Sporthalle untergebracht. Die Kommunen stöhnen über die sich türmenden Aufgaben. Foto: Felix Kästle, dpa

    Die Kommunen sind vielleicht der wichtigste Grund, wieso Deutschland immer wieder Krisen besser bewältigt als viele andere vergleichbare Länder – sei es bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten, in der Energiekrise oder in der Pandemie. Die Diskrepanz zwischen der Bedeutung dieser Aufgaben und der Ausstattung der Kommunen, sie auch erledigen zu können, wird jedoch immer größer. Dies muss sich dringend ändern, damit Deutschland nicht nur Krisen gut bewältigen, sondern auch den wirtschaftlichen Wohlstand bewahren kann.

    Der Föderalismus ist eine der großen Stärken unserer Demokratie. Das Konzept der Subsidiarität bedeutet, dass möglichst viele Entscheidungen vor Ort von denen getroffen werden, die direkt betroffen sind und die relevanten Kompetenzen haben. Dies hat viele Jahrzehnte in Deutschland gut funktioniert. Auch aktuell zeigt sich: Die Kommunen kümmern sich hervorragend um mehr als eine Million Geflüchtete aus der Ukraine. Allerdings geraten sie dabei an ihre Kapazitätsgrenzen.

    Kommunen stellen großen Teil der öffentlichen Infrastruktur

    Die Kommunen sind auch die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand. Knapp die Hälfte aller öffentlichen Investitionen in Deutschland wird von den Kommunen getätigt. Sie stellen einen großen Teil der Infrastruktur für Schulen, für den Verkehr, für Energie- und Wassernetze, für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen bereit. Ohne diese Grundversorgung könnte kein Unternehmen seine Produktion aufbauen, innovativ sein und Arbeitsplätze schaffen. Gerade deswegen ist es wichtig, dass die Kommunen hier nicht gezwungen sind, Mittel für die Geflüchteten umzuschichten und an falscher Stelle zu sparen.

    Das Problem ist: Niemals in den vergangenen 70 Jahren war die Diskrepanz zwischen der Verantwortung und der finanziellen Ausstattung der Kommunen, größer als heute. Knapp 30 Prozent aller Kommunen sind heute überschuldet und können nicht mehr selbstständig entscheiden. Dabei sehen wir ein zunehmendes Süd-Nord-Gefälle bei der Leistungsfähigkeit. Dies widerspricht der im Grundgesetz verankerten Vorgabe, der Staat müsse gleichwertige Lebensbedingungen überall in Deutschland schaffen. Davon sind wir heute weiter entfernt denn je.

    Probleme für finanzschwache Kommunen sind größer geworden

    Der Grund dafür liegt nicht in Fehlern der betroffenen Kommunen – so ein häufig geäußerter Vorwurf. Sondern er liegt in fehlenden Geldern und einer zu geringen Autonomie. Wie eine Studie des DIW Berlin schon vor vielen Jahren gezeigt hat, geben finanzschwache Kommunen nicht mehr Geld für Konsumausgaben oder ihre Beschäftigte aus. Probleme verursachen fast ausschließlich hohe Sozialausgaben, zu denen die Kommunen verpflichtet sind.

    Diese Probleme sind über die Zeit auch deshalb größer geworden, weil Krisen und große Herausforderungen die finanzschwachen Kommunen dauerhaft geschwächt haben. Und auch wegen eines Unterbietungswettbewerbs bei der kommunalen Gewerbesteuer – eine der wenigen Stellschrauben für Kommunen, mit der sie ihre Steuereinnahmen verändern können. So schaffen es finanzstärkere Kommunen häufig, Unternehmen mit dem Versprechen einer geringeren Gewerbesteuer anzuziehen. Bessere Schulen, Krankenhäuser und Infrastruktur, zusammen mit erfolgreichen Unternehmen und guten Arbeitsplätzen ziehen zudem auch junge und gut ausgebildete Menschen an, sodass schwächere Kommunen somit häufig in einen Teufelskreis geraten.

    Kommunen brauchen mehr Autonomie bei Finanzentscheidungen

    Schon vor acht Jahren hat die unabhängige Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen in Deutschland eine bessere Ausstattung von Kommunen vorgeschlagen. Seitdem ist zu wenig passiert, und die Politik muss heute realisieren, dass sie diesen Fehler korrigieren muss, wenn sie den wirtschaftlichen Wohlstand sichern will. Erstens müssen Kommunen mehr gleichwertige Voraussetzungen bei der Finanzierung erhalten, was eine Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs und einer effektiveren Begrenzung des Steuerwettbewerbs erfordert. Dies werden Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg nicht gerne hören. Aber es muss auch in ihrem Interesse sein, dass Deutschland als Ganzes wirtschaftlich erfolgreich ist.

    Zweitens benötigen Kommunen mehr Autonomie bei ihren Finanzentscheidungen. Dazu müssen überschuldete Kommunen komplett entschuldet werden. Bundesländer wie Hessen haben vorgemacht, dass dies möglich ist.

    Die dritte Reform ist eine höhere Effizienz bei den Kommunen, wie auch von der genannten Expertenkommission vorgeschlagen. Viele Kommunen sind zu klein oder haben nicht die notwendige Expertise, um große Bauprojekte umsetzen zu können. Daher benötigt es mehr und stärkere gemeinsame Institutionen auf regionaler Ebene, um Kompetenzen zu schaffen.

    Der Föderalismus ist Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands. So wie er jedoch zurzeit funktioniert, wird er zur Schwäche, durch die die Kommunen ihrer Fähigkeit beraubt sind, Krisen zu bewältigen und ihre Aufgaben der Daseinsfürsorge zu erfüllen. Dies gilt es dringend zu korrigieren. Auch die Integration von Geflüchteten ist eine dringliche Aufgabe, bei der die Kommunen mehr Unterstützung vom Bund brauchen. Die Lösungen liegen auf der Hand. Aber wird die Politik den Willen dafür aufbringen?

    Zur Person: Marcel Fratzscher ist Ökonom und Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung mit Sitz in Berlin.

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