Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Gastbeitrag: Die Wahrheit muss schneller sein als die Lüge

Gastbeitrag

Die Wahrheit muss schneller sein als die Lüge

    • |
    Momentan ist Donald Trump vor allem auf dem Golfplatz unterwegs, doch ein neuer Anlauf auf das Weiße Haus wird immer wahrscheinlicher.
    Momentan ist Donald Trump vor allem auf dem Golfplatz unterwegs, doch ein neuer Anlauf auf das Weiße Haus wird immer wahrscheinlicher. Foto: Seth Wenig, AP/dpa

    Seit ein paar Jahren schon geht mir ein Bild nicht mehr aus dem Kopf, eine Metapher, die die Journalistin Ana Marie Cox mal erfunden hat, als sie noch  in der Ära von Donald Trump über die Faktenchecker der Washington Post nachdachte.

    Was tun diese armen, sich redlich abstrampelnden Faktenchecker eigentlich, so ihre Frage, wenn skrupellose Idioten fortwährend die öffentliche Arena mit Unsinn fluten?

    Als würde man in einem brennenden Haus erst mal den Wasserhahn reparieren

    Wie effektiv sind sie, wenn die große Welle von Nonsens-News längst rollt, die Frames also längst geformt sind, bevor die Widerlegungsanstrengung überhaupt beginnt? „Faktchecking“, so vermerkte die Journalistin, sei ein bisschen so, als würde man in einem brennenden Haus sitzen. Um dann mit großer Hingabe den tropfenden Wasserhahn zu reparieren.

    In diesem Bild, eben deshalb lässt es mich nicht los, wird der publizistische Startvorteil von Lügnerinnen und Lügnern sichtbar. Fakes sind schnell, Wahrheiten langsam. Und die Korrektur ist oft auch einfach deshalb chancenlos, weil sie viel zu spät kommt. Nur: Wie dagegenhalten? Die Antwort: Aufklärung muss schneller werden, viel schneller. Sie muss einsetzen, bevor sich Weltbilder endgültig verfestigt und sich Fake-Behauptungen global verbreitet haben. Also erneut: Was tun?

    Gegenwärtig wird im Feld der Desinformationsbekämpfung eine bereits ältere wissenschaftliche Theorie neu entdeckt, dies mit ziemlich vielversprechenden Ergebnissen. Die Rede ist von der sogenannten Inokulationstheorie, die der Sozialpsychologie der 1960er Jahre entstammt. Inokulation heißt Impfung. Die Grundidee besagt, dass man Menschen gegen Desinformation gleichsam impfen kann – und zwar auf zweifache Weise: zum einen durch die möglichst frühe, möglichst konkrete Warnung vor gerade erst aufkommenden Falschbehauptungen, zum anderen durch die Entlarvung der allgemeinen Manipulationstechniken.

    Eine Impfung gegen Fake News und Desinformation

    Desinformationsimpfung, so zeigen aktuelle Studien, funktioniert tatsächlich ziemlich gut, beispielsweise auch durch Computerspiele, die auf leichte Weise die Techniken der Agitation verstehbar machen. Aber die Idee, die sich in dem Konzept der Desinformationsimpfung verbirgt, reicht noch weiter. Denn eigentlich wird hier eine neuartige Form von Aufklärung sichtbar, die nicht mehr allein auf die reaktive Korrektur setzt, sondern auf die präventive Entlarvung der Falschinformation zielt.

    Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.
    Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Foto: Peter-Andreas Hassiepen

    Wie soll das gehen? Demagogen und Ideologen haben eine offene Flanke, dies ist ihre Berechenbarkeit, die Dogmatik ihres Denkens. Ideologie, so könnte man sagen, ist ein anderes Wort für einen leicht zu entziffernden Schematismus der Weltwahrnehmung, der sich nutzen lässt. Man müsste also auf dem Weg zu einer tatsächlich präventiven Desinformationsbekämpfung, so die Idee, gerade erst entstehende Agitationsmuster sehr viel systematischer studieren, neue Propagandawellen antizipieren, um dann deutlich schneller und entschiedener zu intervenieren. Und genau das geschieht derzeit im Informationskrieg der Gegenwart.

    In der Ukraine erleben wir, wie man schnell auf Fakes reagieren kann

    Mitunter täglich werden Ukrainerinnen und Ukrainer derzeit vor russischen Propaganda-Narrativen gewarnt. Plötzlich auftauchende, gerade erst publizierte Fälschungen werden blitzschnell dementiert, Lügen zum Beispiel durch Satellitenbilder und Geheimdienstinformationen offensiv korrigiert. Mal ganz konkret: Wenige Tage nach Kriegsbeginn wurde auf einer gehackten ukrainischen Nachrichtenwebsite ein sogenanntes Deep-Fake-Video publiziert. Angeblich erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj hier die Kapitulation, aber die Fälschung vermochte nicht zu verfangen. Denn die Bevölkerung war schon darüber informiert, dass ein solches Video kommen könnte. Und Selenskyj reagierte sofort – und machte klar: Alles Fake!

    Hier zeigt sich: Die Geschwindigkeit der Gegenwehr ist entscheidend. Sonst wird diese Gegenwehr zur sinnlosen, hoffnungslos ermüdenden Sisyphosarbeit. Und man fuhrwerkt auch dann noch an einem tropfenden Wasserhahn herum, wenn das Gebäude längst in Flammen steht.

    Der Autor: Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Aktuelles Buch: „Die Kunst des Miteinander-Redens“.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden