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Gastbeitrag: Am Ende siegt die Wahrheit – auch in Russland

Gastbeitrag

Am Ende siegt die Wahrheit – auch in Russland

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    Zeichen der Hoffnung: Ein Lichtstrahl fällt auf ein Kreuz.
    Zeichen der Hoffnung: Ein Lichtstrahl fällt auf ein Kreuz. Foto: Nicolas Armer, dpa

    Unsere Sicht ist immer in irgendeiner Weise eingegrenzt. Wer diese innere Festlegung verlässt, kann neue Möglichkeiten der Deutung zulassen. So können etwa Verhaltensmuster in der Familie wie „Meine Mutter mischt sich ständig in mein Leben ein“ durch positive Umdeutung wie „Ihre Mutter möchte Sie womöglich gut beschützen“ ihre beklemmende Wirkung verlieren. Wer sagen kann: „Scherben bringen Glück!“, stellt seinen Verlust in einen neuen Rahmen; deutet das Zerbrochene positiv im Hinblick auf einen höheren Wert. Und das ist im guten Sinne Lebenskunst, die zu größerer Zufriedenheit beiträgt.

    Die Passion Jesu wird in den vier Evangelien zu etwas Positivem umgedeutet

    Die Umdeutung des Leidens Jesu ist die entscheidende Glaubenskunst des Christlichen. Aufhorchen lässt allein schon die Tatsache, dass die vier Evangelien das Kreuz nicht verschweigen, diese schändliche Folterart, die den Verurteilten mit dem Leben zugleich ihre Ehre und das würdigende Andenken rauben sollte. Sie verschweigen die Passion Jesu nicht, nein, sie stellen sie sogar in vielen Details und Dialogen ausführlich dar. Sie machen sie zu einem Schwerpunkt der christlichen Verkündigung. Dabei begleiten sie das Geschehen dieser Tage in Jerusalem nicht bloß dokumentarisch. Sie deuten, legen mit ihrer Bezugnahme auf die prophetischen Schriften und die Psalmen des Ersten Testamentes einen neuen Rahmen über das Geschehen.

    Was durch die Intrigen der Gegner Jesu und das Machtkalkül der römischen Besatzer zerbrochen und verloren schien, wird so als das erkannt, was es in den Augen Gottes wirklich ist. Angelehnt an den emphatischen Ruf des Apostels Paulus im Galaterbrief (

    Das Leiden des Sohnes Gottes ruft die Frage nach dem Sinn des Leidens insgesamt auf. Die vielen Menschen in unverschuldeter Not oder in bewusst und brutal zugefügtem Leid, sie alle rufen zu aktiver Sympathie auf, die alle Möglichkeiten nutzt, ungerechte Strukturen anzuprangern und politisch auf Veränderung zu drängen.

    Jesus Leidensgeschichte zeigt: Die Unterdrückung von Wahrheit und Freiheit ist am Ende erfolgslos

    Wie dankbar dürfen wir in Europa sein für die offenherzige Bereitschaft, den aus der Ukraine geflüchteten Frauen, Kindern und älteren Menschen ein warmherziges Willkommen zu bereiten. Doch was ist mit dem Leid, das nicht zu ändern ist, plötzliche Krankheit, Schicksalsschläge? Ich kenne Menschen, die solche Zumutungen tragen können, weil sie sie mit dem Leiden des gekreuzigten Herrn verbinden. Er hat bis zum letzten Atemzug vorgelebt, dass ihm nichts genommen werden konnte, weil er zuvor bereits alles aus Liebe hingegeben hat.

    Auch die dreisten Versuche von Machthabern, sich der Wahrheit zu bemächtigen und sie so zu verdrehen, dass sie ihren Zielen passend erscheint; auch die offenkundige Lüge, die uns schier sprachlos macht, weil sie diejenigen niederknüppelt, wegsperrt oder umbringt, die den Mund auftun: Im Licht dessen betrachtet, der in seiner Passion souverän dem Versuch des römischen Statthalters widerstanden hat, ihn zu korrumpieren; im Licht des Geschickes Jesu, dessen gewaltsamer Tod für Gott nicht das Ende seiner Möglichkeiten bedeutet hat; in diesem Licht wird doch klar: Alle schändlichen Versuche, zu unterdrücken, was wahr ist und zur Freiheit führt, werden auf Dauer keinen Erfolg haben.

    Wie mutig war doch die Redakteurin Marina Owsjannikowa mit ihrem offenen Protest gegen den Krieg mitten in den russischen Hauptnachrichten. Um die Konsequenzen hat sie sicher gewusst; und genau darum mag sie viele andere zu ähnlichen Zeichen ermutigen. Mich hat die Situation daran erinnert, wie Jesus vor Pilatus stand und sagte: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18,37).

    Zur Person: Georg Bätzing ist Bischof von Limburg und Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.

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