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Fußball-WM 2022: Wo Frauen im Abseits spielen: So steht es um Frauenrechte in Katar

Fußball-WM 2022

Wo Frauen im Abseits spielen: So steht es um Frauenrechte in Katar

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    Frauen stehen in Doha an der Seepromenade. Wie steht es um Frauenrechte in Katar?
    Frauen stehen in Doha an der Seepromenade. Wie steht es um Frauenrechte in Katar? Foto: Joerg Boethling, imago

    In einer Shoppingmall von Doha, der Hauptstadt von Katar, betreibt Fatma ein Studio für Kampfsportarten. Die Spiegel an der Wand sind frisch geputzt, die Matten auf dem Boden riechen noch neu. Fatma wischt sich den Schweiß von der Stirn. Gerade hat sie drei Freundinnen zu Höchstleistungen getrieben. „Durch den Sport kann ich an körperliche Grenzen gehen“, sagt Fatma. „Das gibt mir Sicherheit in anderen Lebensbereichen. Meine Noten in der Uni sind besser geworden.“

    Fatma ist Anfang 20, ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen. Sie spricht gern über ihre Sportarten, über Muskelgruppen, mit ihren Händen beschreibt sie ihre Kampftechniken. Doch ihre Leidenschaft kann schnell umschlagen, in Frust, manchmal in Resignation. Fatma ist die Leiterin des Sportstudios, inoffiziell. Ein Foto von ihr darf nicht auftauchen, nicht im Eingangsbereich, nicht im Internet.

    Nach WM-Vergabe: Katar ist verpflichtet, den Frauensport zu fördern

    „Mein Vater und meine Brüder wollen nicht, dass ich beim Sport fotografiert oder gefilmt werde“, erzählt Fatma. „Sie glauben, dass ich dadurch zur Schau gestellt werde. Sie verlangen Disziplin.“ Fatma hatte als Kind gern Fußball gespielt, sie gehörte zu den größten Talenten. Mehrfach hat sie eine Anfrage für das katarische Nationalteam der Frauen erhalten. Mehrfach musste sie ablehnen, denn beim Nationalteam sind Kameras nicht verboten.

    In Katar beginnt an diesem Sonntag die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer. Seit der Vergabe 2010 steht das Emirat unter internationaler Beobachtung. Die Gesellschaft der Einheimischen wird durch den Wahhabismus geprägt, eine traditionalistische Auslegung des sunnitischen Islam. Fatma bekommt das schon in ihrer Kindheit zu spüren. Als Jugendliche darf sie ihr Handy nur zum Telefonieren nutzen, die Apps sind gesperrt. Ihre Brüder achten auf ihre Kleidung, begutachten ihre Freundinnen. „Ich fühlte mich in jeder Hinsicht unterdrückt“, sagt Fatma. „Ich habe das Gefühl, dass meine Kindheit gerade erst zu Ende gegangen ist.“ Diese Einschränkungen haben Folgen, Fatma entwickelt Essstörungen, leidet unter Depressionen.

    Keine Chance auf Karriere: Sport ist in Katar ein Symbol für die Stellung der Frau

    Doch dann beginnt Fatma ihr Studium an einer amerikanischen Universität, die in Doha eine Außenstelle unterhält. In der Mensa kommt sie mit Studierenden aus allen Kontinenten ins Gespräch. Viele katarische Frauen verzichten hier auf das Tragen der Abaya, der traditionellen schwarzen Bekleidung, die auch das Haar bedeckt. Fatma nutzt das Sportangebot der Uni. Sie gehört zu den Besten im Basketball und Fußball. Doch eine Karriere als Profisportlerin bleibt ihr verwehrt.

    Der Sport ist in Katar ein Sinnbild für die Stellung der Frauen. Häufig müssen sie die Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen. Zum Beispiel, wenn sie heiraten oder in einem öffentlichen Job arbeiten wollen. Es seien Gesetze des Staates, die in weiten Teilen der patriarchalen Gesellschaft auf Zustimmung stoßen, sagt Anna Reuß, die an der Universität der Bundeswehr in München zur Außenpolitik der Golfstaaten forscht: „In Katar gilt die Familie meist als kleinste gemeinsame soziale Einheit. Auch wenn die Frau viel zum Einkommen beiträgt, wird sie nicht als Familienoberhaupt angesehen, sondern eher als Mutter.“

    Katar gibt das Bild der "starken Frau" in Kultur und Verwaltung vor

    Sportliche Betätigungen für Frauen haben in Katar nicht den Stellenwert wie in westlichen Gesellschaften. Jahrzehntelang existierten kaum Räume, in denen sie sich ohne traditionelle Bekleidung verausgaben konnten, auch deshalb leiden sie häufig an Übergewicht, Diabetes und Depressionen. „Viele Menschen befürchten die Erosion dieser traditionellen Identitätsmuster“, sagt Anna Reuß. Sportlerinnen gelten in Katar mitunter als „starke Frauen im negativen Sinne“. Die katarische Regierung will dieser Wahrnehmung etwas entgegensetzen. Im geopolitischen Wettstreit mit den Nachbarn Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist Katar auf Netzwerke mit den USA und Europa angewiesen. Daher pflegt das Regime das Narrativ der „starken Frau“ und verweist auf weibliche Führungskräfte in Verwaltung und Kultur. „Der katarische Staat will ein nuanciertes Bild von mündigen Frauen zeichnen“, sagt Anna Reuß. „Bilder von schwitzenden Fußballerinnen mit Pferdeschwanz, die sich nach einem Tor in den Armen liegen, können dabei helfen.“

    Viele Menschen in Europa nehmen den Nahen Osten als einheitliche Region wahr. Mit Katar verbinden sie Wüste, Kamele, Reichtum durch Öl. Und Frauen, die es - wenn überhaupt - gegen alle Widrigkeiten an die Spitze schaffen.

    Spät, ab den 1990er Jahren wollte sich das einst verschlafene Katar aus der wirtschaftlichen und militärischen Abhängigkeit des Nachbarn Saudi-Arabien lösen. Das Emirat öffnete sich für Investoren und bemühte sich um Sportereignisse. Anfang des Jahrtausends brachte Musa bint Nasser al-Missned, die zweite Ehefrau des damaligen Emirs, die Gründung des Frauen-Sportkomitees auf den Weg. Diese Organisation sollte sich „für die Gleichstellung der Geschlechter im Sport“ einsetzen.

    Katar gilt im Nahen Osten als fortschrittlich –  in Europa als rückständig

    Das große Ziel Katars war schon damals die Ausrichtung der Fußball-WM der Männer. Doch für einen Zuschlag des Weltverbandes Fifa mussten Bewerber die Förderung von Mädchen und Frauen nachweisen. So wurde 2009 in Katar eine Fußball-Auswahl der Frauen gegründet. Im Oktober 2010 bestritt sie ihr erstes Länderspiel. Anderthalb Monate später wurde die Männer-WM 2022 nach Katar vergeben.

    In Doha befindet sich die „Aspire Academy“, eine der modernsten Sportakademien der Welt, mit einem Fokus auf männliche Talente. Das Frauen-Sportkomitee ist außerhalb der Akademie untergebracht, in einer ehemaligen Schule. An den Wänden hängen Fotos von Sportlerinnen, in Vitrinen sind Pokale und Medaillen ausgestellt. Doch wie ernsthaft ist die Förderung? Das Fußball-Nationalteam der Frauen ist kaum aktiv und wird auch nicht in der Weltrangliste der Fifa geführt.

    Nach Maßstäben Europas gilt Katar als rückständig. Nach Maßstäben der Golfregion gilt Katar als Fortschrittsmodell, denn etwa im Iran wird die Teilhabe von Frauen noch stärker eingeschränkt. Seit Jahren nutzen europäische Frauenrechtsgruppen den Fußball zur Stärkung von Frauenrechten. Gern würden diese Gruppen auch in Katar Netzwerke knüpfen. Doch das Herrscherhaus duldet keine kritische Zivilgesellschaft. Frauenrechtsorganisationen in Doha? Pure Utopie.

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