Vor der im Juni beginnenden Fußball-Europameisterschaft in Detuschland liegen den Behörden in Bund und Ländern zwar keine konkreten Anschlagspläne vor – allerdings registrieren sie nach den Worten des Terrorforschers Peter Neumann eine wachsende Aktivität von Dschihadisten und Islamisten im Internet. Terrororganisationen versuchten dort, Anhänger zu Anschlägen zu motivieren, betonte Neumann in einem Interview mit unserer Redaktion.
Er sei sich aber relativ sicher, dass es keine Attentate auf einzelne Spiele und Stadien geben werde. "Ich glaube, dass die deutschen Behörden zumindest die Spielstätten sehr gut absichern können", sagte der 49-Jährige, der am renommierten King's College in London lehrt. Zu den Gefahrenzonen während der EM zählt Neumann vor allem die Wege zu den Stadien und die sogenannten Public-Viewing-Veranstaltungen. "Niemand kann ausschließen, ob nicht jemand im stillen Stübchen mit einfachsten Mitteln etwas plant und zur Tat schreitet." So hatte erst im Herbst vergangenen Jahres ein islamistischer Terrorist in Brüssel zwei schwedische Fußballfans auf dem Weg zu einem EM-Qualifikationsspiel erschossen.
Experte Neumann: Die Terroristen sprechen Russisch
Ganz generell sei die Terrorgefahr in Deutschland heute höher als noch vor einem Jahr, sagte Neumann. Allerdings mache er sich mehr Sorgen um die Olympischen Spiele in Paris als um die Europameisterschaft in Deutschland. "Olympia ist das leichtere Ziel, es gibt viel mehr Wettkampfstätten und die lassen sich häufig schlechter kontrollieren als ein Fußballstadion." Außerdem werde in Paris, anders als bei der EM, eine israelische Mannschaft teilnehmen. Die größte Terrorgefahr in Deutschland geht nach Ansicht von Neumann heute vom "Islamischen Staat – Provinz Khorasan" aus, der seine Anhänger vor allem in den früheren Sowjetrepubliken Tadschikistan, Kirgisien und Usbekistan in Zentralasien rekrutiert und zwischen 50 und 100 von ihnen bereits nach Deutschland eingeschleust haben soll. "Das ist der aggressivste und ambitionierteste Ableger des IS", sagte Neumann. Auch er habe sich lange nicht vorstellen können, dass die größte dschihadistische Bedrohung in Europa einmal von Leuten ausgehe, die miteinander Russisch sprächen. "Die können gar kein Arabisch."
Allein zu den Spielen in den Stadien erwarten die EM-Organisatoren rund 2,5 Millionen Besucher, dazu kommen weitere sieben Millionen in den Fan-Zonen und beim Public Viewing. Die Bundespolizei, die für die Dauer des Turniers eine Urlaubssperre verhängt hat, wird dabei jeden Tag rund 22.000 Beamte im Einsatz haben – der größte Einsatz seit der Gründung des damaligen Bundesgrenzschutzes 1951. Dazu kommen 350 Polizisten aus den Heimatländern der EM-Teilnehmer und mehrere Tausend Polizistinnen und Polizisten aus den Polizeien der Bundesländer. Konkrete Zahlen nennen die jeweiligen Innenministerien aus einsatztaktischen Gründen nicht. Um möglichst keine Gefährder und Hooligans ins Land zu lassen, hat Innenministerin Nancy Faeser ab Anfang Juni überdies Kontrollen an den deutschen Grenzen angeordnet. Mit Frankreich sind gemeinsame Polizeieinheiten und gemeinsame Streifen im Bahnverkehr zwischen Deutschland und Frankreich geplant.
Experte Grötsch: Die Polizei hat sich optimal auf die EM vorbereitet
"Dieser Sommer ist für die Sicherheitsbehörden und speziell die Polizeien der Sommer der großen Herausforderungen", betonte der Polizeibeauftragte des Bundes, Uli Grötsch, gegenüber unserer Redaktion. "Der Kräfteansatz für die Europameisterschaft ist enorm, der Schutz maximal und höchst professionell organisiert." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann betonte: "Ganz wesentlich ist, dass die bayerische Polizei starke Präsenz zeigen wird."
Zur Einschätzung der Gefährdungslage stünden Polizei und Verfassungsschutz im Freistaat in einem engen Austausch mit den Sicherheitsbehörden des Bundes und der anderen Bundesländer. Für Bayern lägen zwar keine Erkenntnisse zu konkreten Anschlagsplanungen vor. "Unsere Sicherheitsbehörden sind dennoch höchst wachsam." So fänden in Bayern bereits unmittelbare Grenzkontrollen zu Tschechien und Österreich durch die Bundespolizei und die bayerische Grenzpolizei sowie im grenznahen Raum intensive Schleierfahndungskontrollen statt.