Nach den ersten Prognosen zur Europawahl tat Olaf Scholz, was er oft tut: Er lächelte das schlechte Ergebnis für seine SPD einfach weg. Wenn seiner Vorgängerin Angela Merkel der Ruf der Teflon-Kanzlerin anhaftete, weil alles an ihr abperlte, dann ist Scholz die nächste Stufe der Undurchdringlichkeit, so etwas wie der Diamant-Kanzler also. Allerdings ohne den strahlenden Glanz des Edelsteins. Der ist nach diesem Wahlsonntag nur noch matter geworden.
Die Fakten sprechen für ein Szenario, das die SPD aus dem Frühsommer 2019 kennt. Bei der damaligen Europawahl holte sie 15,8 Prozent, Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles geriet massiv unter Druck und trat eine Woche später zurück. Diesmal war die SPD mit 13,9 Prozent noch schlechter. Die SPD hatte einen Kanzlerwahlkampf geführt, das Scholz-Konterfei auf jedes Plakat neben die glanzlose Spitzenkandidatin Katarina Barley gedruckt. Wirkung zeigte das keine, wenn es je einen Kanzler-Bonus gab, dann hat er sich in einen Malus verkehrt.
Nach der Europawahl kämpft die SPD ums Überleben
An die Stelle ist bei der SPD der Kampf ums Überleben getreten. Die einstige Arbeiterpartei hat ihre Themen verloren, die politischen Geschichten erzählen andere. Sogar die AfD, die mit ihrer migrationsfeindlichen Politik punktet. Scholz startete mit seiner Abschiebeandrohung für straffällig gewordene Afghanen vergangene Woche einen späten Aufholversuch. Sich kurz vor der Wahl unter dem Eindruck des Mordanschlags von Mannheim als harter Law-and-Order-Mann zu präsentieren, ist jedoch offenkundig genauso kläglich gescheitert wie der Versuch, mit einer Forderung nach einem höheren Mindestlohn zum fürsorgenden Vati der Nation zu werden.
Die SPD ächzt unter ihrem Kanzler, den sie als Parteichef nicht wollte. Doch da ist keiner, der seine klammernden Hände vom Gitter des Kanzleramtes zu lösen vermag. Die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil müssen aufpassen, dass ihre Jobs wegen anhaltender Erfolglosigkeit nicht selbst bald zur Disposition stehen. Die SPD-Flügel sind lahm, Verteidigungsminister Boris Pistorius will erkennbar kein Königsmörder sein. Niemand kann solch einen Druck auf Scholz ausüben, wie er, als er Nahles damals zermürbte.
Macht Olaf Scholz den Schröder?
Das Spiel auf Zeit bei der SPD geht deshalb weiter. Scholz hat den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Gast, die Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine, einen G7-Gipfel in Italien. Nachdem es innenpolitisch zuletzt nur plopp machte, könnte das einen außenpolitischen Knaller ergeben, der ihm wieder die Deutungshoheit ermöglicht.
Viel Zeit hat er nicht, bei den Ost-Landtagswahlen im September wartet die nächste Katastrophe auf die SPD. In Brandenburg droht die Abwahl von SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke, in Thüringen und Sachsen das Unterlaufen der magischen Fünf-Prozent-Marke. Wenn diesmal das Schicksal von Andrea Nahles noch keine Skizze für Scholz ist, könnte es im Herbst das von Gerhard Schröder sein.
Im Mai 2005 kündigte ein verzweifelter SPD-Kanzler Schröder noch am Abend der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an, die Vertrauensfrage zu stellen, um so Neuwahlen zu erreichen. Seine Partei war einmal wieder krachend gescheitert, auch in Folge der umstrittenen Hartz-IV-Reformen. Schröder verlor die Vertrauensfrage wie geplant, am Ende ging sein Kalkül jedoch nicht auf. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl unterlag er. Das Kanzleramt ging für 16 Jahre an die CDU.