Im Abgleich mit den radikalen Vertretern der „Letzten Generation“ erschienen die Anhänger von „Fridays for Future“ (FFF) vielen auf einmal als die Guten, die besseren Klimaaktivisten. Mit Luisa Neubauer hatte die Bewegung eine Anführerin, die es verstanden hatte, drängend im Ton, aber zugänglich in ihrem Handeln zu sein. Ihr Protest störte nicht, und versuchte dennoch, ins Bewusstsein der Mitte vorzudringen. Mehr als 600 FFF-Ortsgruppen hatten sich in den vergangenen Jahren formiert. Nun kämpft Neubauer um das Überleben ihrer Gruppe. Die antisemitischen Ausfälle der internationalen Sektion und allen voran der Klima-Vorkämpferin Greta Thunberg, zwingen die deutschen Aktivisten in die Defensive. Zuletzt hatte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, sogar gefordert, dass der deutsche Ableger von „Fridays for Future“ als Zeichen der Abgrenzung seinen Namen ändern solle.
„Unsere volle Solidarität gilt den Jüdinnen und Juden weltweit, und wir verurteilen scharf den Terror der Hamas", sagte Neubauer am Wochenende. „Wir distanzieren uns von den antisemitischen Posts auf internationalen Kanälen nachdrücklich.“ Die internationalen Netzwerke der Bewegung seien lose und strukturlos und wenige Personen stünden hinter einzelnen Posts. „Es alarmiert uns zu erleben, wie eben diese Netzwerke insbesondere in den letzten Tagen von Wenigen missbraucht wurden, um Desinformation und Antisemitismus zu teilen“, so die 27-Jährige. Sie versprach, die Vorgänge der letzten Tage sehr ernst zu nehmen: „Ich setze mich persönlich dafür ein, dass wir globale Prozesse aussetzen, bis wir sicher sein können, dass eine einzelne Gruppe nicht länger globale FFF-Accounts für Desinformation und Hass nutzen kann.“
CDU übt Kritik an Fridays for Future
Tatsächlich ist FFF nicht hierarchisch organisiert, es gibt keine Vorsitzende, eine nur sehr grobe personelle Struktur. Trotzdem reicht Neubauers Statement nicht allen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Teile von Fridays for Future vergiften mit inakzeptablen antisemitischen Äußerungen und Verschwörungstheorien das gesellschaftliche Klima. Die halbherzige Abgrenzung der deutschen Aktivisten ist inakzeptabel und irritierend. Da muss mehr kommen.“
Luisa Neubauer und Greta Thunberg waren in der Vergangenheit immer wieder gemeinsam aufgetreten. Vielen ihrer Anhänger galt die Schwedin als Ikone im Kampf gegen den menschgemachten Klimawandel. Sie traf Obama, Merkel, Schwarzenegger. In Deutschland bekam ihre Bewegung, die im Jahr 2018 mit dem „Schulstreik“ begonnen hatte, besonders großen Zuspruch. Einer der größten Erfolge: 2021 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung nicht weit genug reiche und die Bundesregierung nachbessern müsse, um zu große Lasten von künftigen Organisationen abzuwenden. Neubauer war damals eine der Klägerinnen.
Klimabewegung verliert an gesellschaftlichem Rückhalt
Der schwere Vorwurf des Antisemitismus ist nicht das einzige Problem, das „Fridays for Future“ hat. Insgesamt erlebt der Klimaaktivismus eine Krise. Durch das Entstehen von deutlich radikaleren Gruppierungen wie „Letzte Generation“ oder auch „Extinction Rebellion“ erschien die Umweltbewegung gespalten – zumindest in der Frage, welchen Weg sie gehen will, um die Gesellschaft zu verändern. Die öffentliche Aufmerksamkeit für FFF schwand, die Schlagzeilen wurden bestimmt vom Streit. Und die Stimmung in der Gesellschaft begann unter anderem als Reaktion auf die Provokationen der „Letzten Generation“ zu kippen. Die grundsätzliche Unterstützung für die Klima- und Umweltbewegung in Deutschland halbierte sich laut einer Befragung der gemeinnützigen Organisation More in Common von 2021 bis heute von 68 auf 34 Prozent. Vor allem die Straßenblockaden werden weitgehend kritisch gesehen – trotz der Tatsache, dass viele Menschen die grundsätzliche Notwendigkeit von starkem Klimaschutz anerkennen.
Und noch eine Umfrage, durchgeführt von Infratest Dimap im September, dürfte für Verdruss sorgen bei Luisa Neubauer: Für drei Viertel der Deutschen (75 Prozent) haben Greta Thunberg und die Demonstrationen von Fridays for Future weniger (35 Prozent) oder gar keinen Einfluss (40 Prozent) auf ihre persönliche Einstellung zu Klima- und Umweltfragen hinterlassen.
Hinzu kommt, dass das Thema „Klimaschutz“ inzwischen ein Imageproblem hat. Die Sorge um den Wohlstand überlagert die Sorge um die Umwelt zumindest in Teilen der Gesellschaft. Die Grünen als politische Vertreter der Öko-Bewegung bekommen das durch rapide sinkenden Wähler-Zuspruch zu spüren. Nicht zuletzt die hart geführte Debatte um das Heizungsgesetz hatte die Gräben tiefer werden lassen. "Wenn die Leute das Wort Klimaschutz hören, gehen gleich die Alarmglocken an", sagte jüngst der Klimaforscher Mojib Latif.