Weniger Präsenz, Antisemitismusvorwürfe und die "Letzte Generation" in aller Munde: Ist "Fridays for Future" gescheitert? Ja, sagen knapp zwei Drittel der Deutschen. Mehr als die Hälfte der Befragten sieht die Bewegung gar eindeutig am Ende. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für unsere Redaktion. Demnach sieht lediglich knapp ein Viertel weiterhin eine Zukunft für "Fridays for Future", der Rest ist unentschlossen.
Erst kürzlich löste "Fridays for Future" heftige Proteststürme aus. Sowohl FFF-Begründerin Greta Thunberg als auch einige weitere Aktivistinnen und Aktivisten der internationalen Bewegung solidarisierten sich mehrfach mit den Palästinensern, warfen Israel etwa "Apartheid" oder einen "Genozid" vor – schwiegen jedoch zugleich zum Terror der Hamas. Seither steht "Fridays for Future" in der Kritik, antisemitisch zu sein – auch wenn sich führende Köpfe der Bewegung in Deutschland klar von den Äußerungen distanziert haben. Am vergangenen Wochenende betrat Greta Thunberg bei einer Demonstration im Amsterdam die Bühne mit einem "Palästinenser-Schal". Als es mehr um den Nahost-Konflikt und weniger um Klimaschutz ging, entriss ihr ein Demo-Teilnehmer kurzzeitig das Mikro und sagte, dass er wegen der Klimademo hier sei und nicht wegen Thunbergs politischer Meinung. Anschließend wurde er von der Bühne geführt. "Die später teilweise revidierten Äußerungen Thunbergs, vor allem aber die höchst einseitige Stellungnahme auf der Website von 'Fridays for Future International' zum Krieg zwischen Israel und der Hamas schaden definitiv dem Ansehen", sagt Protestforscher Dieter Rucht auf unsere Anfrage. Der Allgäuer ist Mitbegründer des Instituts für Protestforschung. "Dieser Schaden ist durch die klare Haltung des deutschen Netzwerks gemindert worden, aber es bleibt ein Reputationsverlust und das Bild der inneren Zerstrittenheit." Seiner Ansicht nach war das ein Eigentor mit Ansage.
Experte: Protestbewegungen mit klarem Schwerpunkt sind erfolgreicher
Denn: "Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass Protestbewegungen mit einem klaren Schwerpunkt und konkreten Forderungen mehr Erfolgschancen haben als solche, die einen thematischen Gemischtwarenladen betreiben", sagt Rucht. "Auch fehlt es dann im Hinblick auf einen sehr breiten Themenkatalog oft an fachlicher Expertise und gut begründeten Lösungsvorschlägen."
Die Umfrage zeigt, dass vor allem Wählerinnen und Wähler aus den politischen Lagern von Union, FDP und AfD die FFF-Bewegung spätestens seit den Äußerungen zum Nahostkrieg für gescheitert halten. Die Anhängerinnen und Anhänger von Grünen und der Linken glauben noch eher an eine Zukunft. Doch wie könnte eine solche Zukunft aussehen?
"Fridays for Future": Massenproteste müssen weitergehen
Für Protestforscher Rucht haben die verschiedenen Klimabewegungen wie die "Letzte Generation" oder eben auch "Fridays for Future" durch die Massenproteste bereits einiges erreicht. Ob diese letztlich das bewirken, was Aktivistinnen und Aktivisten erhoffen, könne man erst weit später beurteilen, sagt er. Schon jetzt ist aber klar: 2023 werde wohl das wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn, meldet der EU-Klimadienst Copernicus. Aufmerksamkeit sei den Klimaprotesten also weiter gewiss. Und das ist für Rucht "die halbe Miete". Großen, durchschlagenden Einfluss auf die Politik nimmt er aber nicht wahr. Er habe schon früh damit gerechnet, dass der Protest über Demonstrationen und Schulstreiks, eine relativ milde Form zivilen Ungehorsams, hinausgehen müsste. Das ist dann passiert: In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert inzwischen die deutlich umstrittenere "Letzte Generation" das Bild der Klimaproteste.
In einer weiteren Civey-Umfrage für unsere Redaktion sehen das 26 Prozent der Deutschen ähnlich. Sie geben an, dass die "Letzte Generation" "Fridays for Future" mittlerweile als zentrale Klimaprotestbewegung abgelöst hat. Knapp die Hälfte der Befragten sieht jedoch weiterhin FFF führend. "Fridays for Future", sagt Protestforscher Rucht, habe schon vor Ausbruch der Coronapandemie begonnen, an Bedeutung einzubüßen. Auch wenn "Fridays for Future" ein Massenphänomen bleibt: Die Teilnehmerzahlen der ersten Monate erreichen die Demonstrationen nicht mehr. Protestierten im Herbst 2019 noch über 100.000 Menschen allein in Berlin für das Klima, kamen dort im September dieses Jahres nur noch rund 20.000 Menschen zusammen. Für Carla Reemtsma, eines der Gesichter von FFF, müssen die Massenproteste jedoch weitergehen: Gegenüber unserer Redaktion beschreibt sie diese als "elementaren Bestandteil" der Bewegung. Die Politik engagiere sich weiterhin zu wenig für den Klimaschutz – eine eigene Partei will FFF indes nicht gründen.