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Frankreich: Protestierende Journalistin: Von der Propaganda-Treiberin zur Putin-Kritikerin

Frankreich

Protestierende Journalistin: Von der Propaganda-Treiberin zur Putin-Kritikerin

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    Die durch ihren Kriegsprotest im russischen Fernsehen bekannt gewordene Journalistin Marina Owsjannikowa hat nun ein Buch geschrieben.
    Die durch ihren Kriegsprotest im russischen Fernsehen bekannt gewordene Journalistin Marina Owsjannikowa hat nun ein Buch geschrieben. Foto: Annette Riedl, dpa

    Marina Owsjannikowa wirkt sehr ernst und zurückhaltend, als sie sich an die Seite von Christophe Deloire stellt, der hier im Pariser Sitz der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) der Hausherr ist. Sie sagt ein paar Worte auf Französisch mit stark rollendem „r“ und entschuldigt sich sogleich, dass sie während dieser Pressekonferenz auf Russisch weitersprechen werde, für Übersetzung sei gesorgt.

    RSF-Chef Deloire neben ihr tritt triumphierend auf, ist ihm doch ein Coup gelungen, der jetzt erst bekannt wird: Mit der Hilfe seiner Organisation konnte die 44-Jährige trotz Hausarrest und einer elektronischen Fußfessel am 1. Oktober aus Moskau fliehen und irgendwo in Frankreich auf dem Land untergebracht werden. "Fragen Sie mich bitte nicht, wo ich die Grenze übertreten habe, das darf ich aus Sicherheitsgründen nicht sagen", betont sie. Sie sei an einem Freitagabend geflohen im Wissen, dass sich die Sicherheitskräfte über Wochenende ausruhten. Tatsächlich wurde sie erst am Montag, dem 3. Oktober, zur Fahndung ausgeschrieben.

    Marina Owsjannikowa protestierte gegen den Ukraine-Krieg

    Über ihre Landesgrenzen hinaus berühmt wurde die ehemalige Mitarbeiterin des staatlich kontrollierten russischen Senders Erster Kanal, als sie am 14. März 2022, zweieinhalb Wochen nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, während der live gesendeten Hauptnachrichten an einer Polizistin vorbei ins Studio lief. Dort hielt sie ein selbst gebasteltes Plakat hoch, auf dem stand: "Kein Krieg – Beenden Sie den Krieg – Glauben Sie der Propaganda nicht – Hier werden Sie belogen – Russen gegen den Krieg". Nach wenigen Sekunden wurde das Bild unterbrochen und eilig eine Reportage gesendet, während Owsjannikowa mit zitternden Beinen das Studio verließ und im Flur auf ihren entgeisterten Chef traf, der sie dazu aufforderte, auf eigenen Wunsch zu kündigen. Das beschreibt sie in ihrem am Freitag erschienenen Buch "Zwischen Gut und Böse. Wie ich mich endlich der Kreml-Propaganda entgegenstellte".

    Es liest sich wie ein Versuch, die Deutungshoheit über ihr Leben und ihre Aktion zurückzuerlangen, aber auch als feuriges Plädoyer gegen den Krieg und den "totalitären Staat", der ihn führe. "In Moskau sitzt ein kriminelles Regime, das die Armee die schlimmsten Verbrechen begehen lässt", sagt Owsjannikowa auch nun in Paris. "Ich wünsche der Ukraine einen überwältigenden Sieg, ohne den es auch für Russland keine Zukunft gibt." Die internationale Gemeinschaft müsse das angegriffene Land nach allen Kräften unterstützen.

    Marina Owsjannikowa war selbst Teil des Propaganda-Apparats

    Diese Worte kommen ausgerechnet von einer Frau, die selbst jahrelang mitten in der russischen "Propaganda-Blase", wie sie sie nun nennt, gearbeitet hat, gut bezahlt von einem Sender, der gezielt "Verschwörungstheorien, Lügen und Heuchelei" verbreitet habe. Als sie 2002 dort anfing, habe es sich um einen normalen Infosender gehandelt, rechtfertigt sie sich. Erst nach dem Kaukasuskrieg 2008 begann Präsident Wladimir Putin, diesen in ein Propaganda-Werkzeug umzubauen. Owsjannikowa, die in Odessa geborene Tochter einer Russin und eines Ukrainers, blieb trotzdem ein Rädchen im System Putin, doch der Beginn des Kriegs sei "ein schwerer Schock" für sie gewesen. Sie habe eine unglückliche Kindheit gehabt mit einer traumatischen Flucht aus Tschetschenien, nachdem ihr Wohnhaus zerstört worden war. "Und dasselbe müssen die Ukrainer jetzt wieder erleben."

    Nach ihrer Protestaktion kam die Journalistin mit einer Geldstrafe wieder frei. Kurzzeitig engagierte sie der Axel-Springer-Konzern als Reporterin für Die Welt, doch nach heftigen Protesten von ukrainischer Seite endete die Zusammenarbeit bald wieder. Nachdem Owsjannikowa am 15. Juli in Moskau ein Antikriegsplakat in der Nähe des Kremls zeigte, folgte eine Anklage. Bis zum Prozess kam sie in Hausarrest. "Mir blieb nur die Wahl zwischen Gefängnis und Auswandern", sagt sie. Sie habe immer noch Angst um ihr Leben, sagt Owsjannikowa. Auch die Angriffe sowohl aus Russland als auch der Ukraine treffen sie. Aber sie habe auf ihr eigenes Gewissen gehört. Wenn auch spät.

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