Wer in diesen Tagen die Äußerungen der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen verfolgt, bekommt den Eindruck von einer Frau, deren Partei Rassemblement National (RN) kurz vor einem durchschlagenden Wahlerfolg steht. Demonstrativ zuversichtlich blickt sie auf die Regionalwahlen an den nächsten beiden Sonntagen. „Die Umfragen und vor allem die Eindrücke vor Ort zeigen die starke Dynamik des RN überall in Frankreich“, so Le Pen.
Regionalwahlen: 2015 erreichte der damalige Front National teils 30 bis 40 Prozent
Tatsächlich könnte die rechtsextreme Partei erstmals eine der zwölf Regionen des Landes erobern; in sechs von ihnen führt sie in den Umfragen. Und doch ist dieser mögliche Erfolg zu relativieren. Denn bereits bei den Regionalwahlen 2015 erreichte der damalige Front National (FN), den Le Pen seither umbenannt hat, in mehreren Regionen 30 bis 40 Prozent im ersten Durchgang.
Doch um seinen Sprung an die Macht zu verhindern, bildeten die übrigen Parteien vor der zweiten Runde jeweils eine sogenannte „republikanische Front“. Landesweit erreichte der FN mit 28,4 Prozent sogar bessere Ergebnisse, als nun für den RN zu erwarten sind, so der Meinungsforscher Brice Teinturier: „Man neigt dazu zu vergessen, wie gut er bei der letzten Wahl abschnitt, aufgrund des Lieds von der vermeintlichen Dynamik.“
Die Rechten haben ihre große Hochburg am Mittelmeer
In der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur (PACA) hat die Partei allerdings realistische Chancen, künftig den Regionalratspräsidenten zu stellen. In dieser traditionellen Hochburg am Mittelmeer mit ihrer hohen Zahl an Einwanderern kommt die Anti-Immigrations-Rhetorik besonders gut an. Der RN-Listenführer Thierry Mariani, früher Minister unter Präsident Nicolas Sarkozy, ist von der bürgerlichen zur extremen Rechten übergewechselt und steht für die poröser werdenden Grenzen zwischen beiden Parteien. So werden die Republikaner eingeklemmt zwischen dem RN und der Präsidentenpartei LREM, die ebenfalls die Wähler der bürgerlichen Mitte im Blick hat.
Solange die linken Parteien nicht geeint auftreten, entscheiden sich die Wahlen im rechten Spektrum. Dementsprechend dominierten Debatten um die innere Sicherheit den Wahlkampf. Laut Umfragen handelt es sich um das Thema, das die Franzosen am meisten beunruhigt – eine Folge der Verunsicherung durch die Corona-Pandemie und islamistische Terroranschläge.
Die Kompetenzen der Regionen sind überschaubar
Dabei fällt die innere Sicherheit gar nicht in die Kompetenz der Regionen; sie sind lediglich zuständig für regionale Wirtschafts- und Kulturförderung, den öffentlichen Verkehr, Berufsbildung und weiterführende Schulen. Die Wahlbeteiligung könnte unter 50 Prozent liegen, doch Le Pens Wählerschaft ist motiviert. Der Sieg in einer Region wäre in symbolischer Hinsicht bedeutsam, sagt der Politikwissenschaftler Pascal Perrineau: „Der RN würde weiter die Glasdecke zerbrechen und sein Image als Regierungspartei verbessern – das letzte Element, bei dem es noch zurückliegt.“
Und natürlich stellt dieser letzte Wahlgang vor der Präsidentschaftswahl im Mai 2022 einen Probelauf dar. Le Pens Chancen, erneut die Stichwahl zu erreichen, stehen gut. Sie hat hat an ihrem Auftreten gearbeitet und politische Positionen verändert – so wirbt sie nicht mehr für einen Austritt Frankreichs aus EU und Eurozone. Einer aktuellen Umfrage zufolge sehen 51 Prozent Wahlerfolge des RN nicht mehr als eine Gefahr für die Demokratie an – anders als noch unter Jean-Marie Le Pen, dem langjährigen Vorsitzenden des FN. Besonders jungen Leuten um die 30 erscheint der RN als Partei wie jede andere.