Emmanuel Macron verblüfft andere gerne mit seinen Entscheidungen. Bei der Wahl der neuen Premierministerin allerdings tat er dies nicht: Élisabeth Borne war die große Favoritin für die Nachfolge von Jean Castex.
Die bisherige Arbeitsministerin vereinigt mehrere vorteilhafte Eigenschaften in sich: Sie hat Regierungserfahrung und kennt zugleich die Arbeit in der Privatwirtschaft, setzte sich in der Vergangenheit mit sozialen, industriellen und Umwelt-Themen auseinander und gehört zu Macrons Unterstützerinnen der ersten Stunde. Indem er auf eine langjährige Getreue setzte, ging der Präsident auf Nummer sicher. Eine „Technokratin“ sei Borne, heißt es von ihr, keine charismatische Rednerin, aber äußerst arbeitsam und eine knallharte Verhandlerin.
Die französische Premierministerin Élisabeth Borne begann ihre Karriere im linken Lager
Sie kommt aus dem linken Lager, beriet den sozialistischen Premier Lionel Jospin und leitete das Büro der einstigen Umweltministerin Ségolène Royal. Bornes Vorgänger, Édouard Philippe und Jean Castex, hatte Macron den Konservativen abgeworben. Für die Parlamentswahlen im Juni will der Präsident nun Mitte-Links-Wähler anziehen, nachdem der radikale Linke Jean-Luc Mélenchon mit seinem Bündnis mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten auf einen Sieg hofft.
Sollte Macron seine Mehrheit in der Nationalversammlung verlieren, würde eine oppositionelle Partei den Premierminister stellen und Borne wieder abtreten. Das will der Präsident vermeiden. Für die 61-Jährige sprach außerdem, dass sie eine Frau ist. Groß war der Druck auf Macron geworden, eine Regierungschefin zu ernennen, erstmals nach 31 Jahren und erst zum zweiten Mal in der Geschichte des Landes. Ihm wird vorgeworfen, die Geschlechtergleichheit zwar vollmundig zu bewerben, sich aber doch überwiegend mit Männern zu umgeben. Édith Cresson, die 1991 als erste Premierministerin heftigen sexistischen Angriffen ausgesetzt war, lobte die Entscheidung. „Frankreichs politische Klasse“, sagte sie, „ist noch besonders rückständig.“
Unter Macron setzte Élisabeth Borne zunächst eine unbeliebte Bahnreform durch
In ihrer Antrittsrede würdigte Élisabeth Borne Cresson und sagte, sie widme ihre Ernennung „allen kleinen Mädchen“, um ihnen zu sagen: „Verfolgt eure Träume bis zum Ende .“ Die Tochter einer Apothekerin und eines jüdischen Widerstandskämpfers hat einen Vorzeige-Lebenslauf. Sie absolvierte zwei Ingenieur-Elitehochschulen, arbeitete später als Direktorin für Strategie beim Bahnunternehmen SNCF, beim Baukonzern Eiffage und für die Stadt Paris, wurde Präfektin der Regionen Poitou-Charentes und Vienne und schließlich Chefin des Pariser Nahverkehrs.
Unter Macron setzte die geschiedene Mutter eines Sohnes als Transportministerin zunächst eine unpopuläre Bahnreform durch, war dann Umwelt- und schließlich Arbeitsministerin. Édith Cresson hat ihr „viel Mut“ gewünscht. Den wird sie brauchen in ihrem herausfordernden Amt mit einem sehr präsenten Chef, Emmanuel Macron.