Aber nein, sagt Marine Le Pen, sie habe absolut nichts gegen Deutschland oder genauer: gegen das deutsche Volk. Sie befürworte die „Verstärkung der bilateralen Beziehungen im Bildungs- und kulturellen Bereich“ und auch das Unterrichten der deutschen Sprache, versichert die Rechtspopulistin, als sie im pompösen „Salon Hoche“ in Paris auf einer Bühne sitzt, das Gesicht halb verdeckt von einem Wald aus Mikrofonen. Die Pressekonferenz zum Thema internationale Politik hat die rechtsextreme Kandidatin knapp zwei Wochen vor der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahl am 24. April anberaumt, um ihre oft angezweifelte Kompetenz in diesem Bereich und ihre Unterschiede zu Präsident Emmanuel Macron, den sie herausfordert, zu betonen. Und davon gibt es viele, angefangen beim Verhältnis zu Deutschland.
Le Pen sieht "unversöhnliche strategische Differenzen" zwischen Deutschland und Frankreich
Schluss machen wolle sie mit der „französischen Verblendung gegenüber Berlin“, sagt Le Pen. Der deutsch-französische Motor für die EU sei eine „Quasi-Fiktion“ und im militärisch-industriellen Bereich werde sie aufgrund „unversöhnlicher strategischer Differenzen“ sämtliche Kooperationen mit Berlin wie die Entwicklung eines gemeinsamen Kampfjets oder von Kampfpanzern beenden. Le Pen war immer eine scharfe Kritikerin des Aachener Freundschaftsvertrags 2019 als Ergänzung des Élysée-Vertrags, der unter anderem eine enge Zusammenarbeit in den Grenzregionen und die Schaffung einer Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Sie interpretierte diesen als „Unterwerfung“ Frankreichs.
Anders als bei ihrer letzten Kandidatur vor fünf Jahren fordert die 53-Jährige nicht mehr den Austritt des Landes aus der EU und der Eurozone – beides wünscht sich nur eine kleine Minderheit der Franzosen. Allerdings wolle sie die EU-Beiträge um fünf Milliarden Euro reduzieren. Darauf antwortete Macron bei einem Wahlkampfauftritt im Elsass, wenn seine Konkurrentin „die Rechnung des Clubs nicht zahlen und ganz alleine die Regeln ändern“ wolle, hätte das einen Frexit zur Folge – „aber das traut sie sich nicht mehr zu sagen“. Die französische Präsidentschaftswahl, so Macron, werde dadurch zu einem Referendum über die EU.
Europäisches Recht soll keinen Anwendungsvorrang mehr vor nationalem Recht genießen
Zwar behauptet Le Pen inzwischen, sie wolle statt eines Austritts die EU „von innen heraus reformieren“. Doch auch die Politologin Nonna Mayer warnt, ihr Programm stehe „im Widerspruch mit den Normen und Werten, mit denen Europa aufgebaut wurde“. Nach polnischem Vorbild schwebt der Rechtsextremen vor, nationales Recht über europäisches zu stellen. Freihandelsabkommen, die „die Interessen Frankreichs nicht respektieren“, will sie auf Eis legen. Auch ihre Forderung nach Grenzkontrollen ließe sich nicht mit den geltenden Prinzipien des freien Warenverkehrs und der Personenfreizügigkeit vereinbaren.
Die Ukraine und die dortigen Kriegsverbrechen durch die russische Armee erwähnte Le Pen nicht, die im ersten Wahlgang am Sonntag 23 Prozent gegenüber 27,8 Prozent für Macron erhalten hatte. Stattdessen bewarb sie eine „strategische Annäherung“ der Nato an Russland, sobald der Krieg vorbei sei. Aus den militärischen Kommandostrukturen des transatlantischen Bündnisses will sie austreten. Le Pen, die in der Vergangenheit die Nähe des russischen Präsidenten Wladimir Putin gesucht hat und in einem Interview sagte, sie empfinde „keine besondere Bewunderung“ für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, spricht sich gegen Sanktionen gegen Russland aus, die der französischen Wirtschaft schaden könnten.