Bei seiner Silvesteransprache vor zehn Tagen hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für das anstehende Jahr die Devise der „Entschlossenheit“ ausgegeben. Wie schwer sie umzusetzen ist, illustrierte er seitdem mit der zögerlichen Ernennung eines neuen Premierministers. Nachdem entsprechende Gerüchte seit Tagen die Runde machten, reichte die bisherige Regierungschefin Élisabeth Borne am Montagabend ihren Rücktritt ein, der in Wahrheit mehr einer erzwungenen Entlassung gleichkam. Dass die 62-Jährige an ihrem Posten hing, war bekannt. Doch Macron wollte einen Neuanfang angesichts der Unbeliebtheit seiner Regierung und einer Krise um das im Dezember mit Stimmen der extremen Rechten beschlossene, äußerst scharfe Migrationsgesetz. Es wird davon ausgegangen, dass der Verfassungsrat noch im Januar einen Teil davon kassiert.
Erst am Dienstagmittag wurde offiziell bestätigt, dass der bisherige Bildungsminister Gabriel Attal Borne nachfolgt – eine erstaunliche Verzögerung, die viel über Macrons Schwanken verrät. Denn mehrere politische Schwergewichte aus seinem Umfeld stemmten sich laut Insidern gegen seine Entscheidung, von denen viele in Attal nicht zuletzt einen gefährlichen Konkurrenten sehen. Die Verfassung verbietet Macron bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2027 eine dritte Kandidatur. Das ruft viele Ehrgeizige auf den Plan, von Wirtschaftsminister Bruno Le Maire bis Ex-Regierungschef Édouard Philippe. Und eben auch Attal, trotz seines für politische Verhältnisse fast jugendlichen Alters.
Gabriel Attal ist der jüngste Premierminister der Fünften Republik
Mit nur 34 Jahren wird er der jüngste Premierminister der Fünften Republik, die 1958 ausgerufen wurde. Gleichzeitig ist Attal auch der erste offen homosexuell lebende Regierungschef des Landes. Er lebt mit dem Europaabgeordneten Stéphane Séjourné, 38, zusammen, der zugleich Vorsitzender der Präsidentenpartei Renaissance ist. Einige Beobachter zeigten sich von der Ernennung Attals überrascht. Andererseits gilt er schon seit längerer Zeit als eines der größten politischen Nachwuchstalente Frankreichs. Im Vorfeld der Entscheidung zirkulierten eher die Namen anderer junger oder nicht mehr ganz so junger Männer aus dem nahen Umfeld des Staatschefs.
War Attal ab dem Teenageralter Mitglied der sozialistischen Partei, so schloss er sich 2016, ein Jahr vor der Wahl Macrons, dessen Bewegung an. Er wurde Regierungssprecher, dann beigeordneter Minister für Haushaltsfragen. Erst im vergangenen Juli folgte der Karrieresprung an die Spitze des Bildungsministeriums. Dort legte Attal einen viel beachteten Start hin, indem er ein Verbot für das Tragen des Übergewandes Abaya für muslimische Schülerinnen, einen harten Kampf gegen Mobbing und eine bildungspolitische Offensive ankündigte. Innerhalb kurzer Zeit stieg er zu einem der beliebtesten Politiker des Landes auf. Er sprach sowohl Wähler des linken wie des rechten Spektrums an.
Die Opposition in Frankreich reagiert mit Spott auf die Personalie Attal
Hat Macron ihn deshalb ernannt, auch auf die Gefahr hin, dass ihn sein eigener Zögling in den Schatten stellt? Er zähle auf Attals „Energie und Engagement“, betonte der Präsident gestern selbst. Macron wolle sich „an dessen Beliebtheit in den Umfragen anhängen“, spottete der Chef der rechtsextremen Rassemblement National, Jordan Bardella. Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon höhnte, Attal werde wieder zum Regierungssprecher, ohne eigenen Handlungsspielraum: „Der präsidentielle Monarch regiert allein mit seinem Hof.“
Vielleicht sind es aber auch gewisse Ähnlichkeiten zwischen beiden Männern, die die Beförderung erklären. Macron selbst war erst 39 und politisch relativ unerfahren, als er Präsident wurde. Beide gelten als charmant im Umgang und dennoch als Einzelgänger. In einem langen Hintergrundartikel über „den stutzig machenden Monsieur Attal“ im Magazin L’Express beschrieb der Journalist Erwan Bruckert den neuen Premier als Einzelkämpfer. „Nichts kann ihn aufhalten und er wagt alles“, sagte Bruckert nun über den Senkrechtstarter.
Mit Élisabeth Borne trat faktisch die gesamte Regierung zurück. Noch in dieser Woche soll ein neues Kabinett aufgestellt werden. Politische Beobachter bleiben skeptisch, ob dies Macron aus der aktuellen Krise zu helfen vermag. „Dass Frankreich einen neuen Premierminister hat, lässt die Menschen eher kalt“, sagte Eddy Vautrin-Dumaine vom Analyseinstitut Kantar Public. „Sie erwarten eher ein klares Ziel des Regierungshandelns.“ Was der Präsident und sein neuer Premierminister konkret vorhätten, sei aktuell noch fast völlig unklar.