Emmanuel Macron mag stets sehr selbstsicher auftreten, doch nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse gab sich der französische Präsident „demütig und entschlossen“, wie er selbst sagte. „Nichts ist entschieden“, warnte er seine Anhänger nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl, die sich über seine klare Positionierung an erster Stelle mit 27,8 Prozent vor der Rechtspopulistin Marine Le Pen mit 23 Prozent freuten.
Zwei Wochen verbleiben bis zur Stichwahl am 24. April. Anders als bisher, als er nur wenige Wahlkampfauftritte absolviert hat und weiterhin viel Zeit den laufenden Amtsgeschäften, allen voran dem Krieg in der Ukraine, widmete, will Macron nun aktiv um seine Wiederwahl kämpfen. Am Montag besuchte der 44-Jährige die Stadt Denain, eine der ärmsten Kommunen Frankreichs und eine Hochburg Le Pens. Am Donnerstag wird er in Le Havre erwartet, dessen Bürgermeister Édouard Philippe sein beliebter Premierminister war und inzwischen eine eigene Partei gegründet hat, mit der er Macron zwar unterstützt – aber dabei durchaus umworben werden will. Für den Ostersamstag ist eine Massenkundgebung in Marseille geplant.
Viele Franzosen haben gar nicht gewählt
Der Präsident muss Wähler mobilisieren. So gut wie noch 2017, als er in der Stichwahl gegen Le Pen 66 Prozent erhielt, stehen seine Gewinnchancen nicht mehr, auch wenn ihn Umfragen weiterhin vorne sehen. Der hohe Nichtwähleranteil von 26,3 Prozent gilt zudem als Zeichen des Verdrusses vieler Menschen. Zwar haben die meisten der anderen Kandidaten vom Grünen Yannick Jadot über die Sozialistin Anne Hidalgo über die Republikanerin Valérie Pécresse bis zum Kommunisten Fabien Roussel Wahlempfehlungen für den amtierenden Präsidenten ausgegeben, um die extreme Rechte an der Macht zu verhindern. Eine solche „republikanische Front“ gab es bei der Präsidentschaftswahl 2002, als der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen überraschend die zweite Runde neben Jacques Chirac erreichte und einen Aufschrei provozierte.
Wie stark eine solche gemeinsame „Front“ gegen Le Pens Tochter Marine heute noch sein kann, ist allerdings ungewiss. Vor allem viele Wähler des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon, der mit 22 Prozent knapp auf dem dritten Platz landete, könnten sich entweder enthalten oder sogar Le Pen zuwenden. Wie Mélenchon verteufelt sie Macron als „Präsident der Reichen“ und verspricht in ihrem Programm mehr soziale Gerechtigkeit. Der radikale Linke appellierte am Wahlabend allerdings an seine Anhänger, Le Pen „keine einzige Stimme“ zu geben. Die Empfehlung, ob diese in der Folge Macron wählen, einen leeren Stimmzettel abgeben oder den Urnen fernbleiben sollen, will er nach einer Befragung seiner „Wahlpaten“ abgeben. Im Wahlkampf hatte er den Präsidenten, dem er „neoliberales“ Agieren vorwirft, zum Feindbild aufgebaut.
So will Marine Le Pen ihre Wählerinnen und Wähler überzeugen
Wohl vor allem mit Blick auf diese Wählerschaft, die ihm aufgrund seiner wirtschaftsliberalen Ausrichtung skeptisch gegenübersteht, versprach Macron eine „neue Methode“ bei Themen wie der Umwelt oder der Arbeit. Am Sonntag kündigte er die Gründung einer „großen politischen Bewegung der Einheit und der Aktion“ an.
Ihrerseits rief Le Pen „alle, die nicht Macron gewählt haben“, dazu auf, sich ihr anzuschließen. Sie erhielt die Unterstützung des Ultrarechten Éric Zemmour, der sieben Prozent erreichte, sowie des Souveränisten Nicolas Dupont-Aignan (zwei Prozent). Die 53-Jährige setzte in diesem Wahlkampf weniger auf große Kundgebungen, sondern zog kleinere Begegnungen mit Menschen im ganzen Land sowie zahlreiche Fernsehauftritte vor. Diese Strategie wird die selbst ernannte Vorkämpferin der „kleinen Leute“ beibehalten.
Der Absturz der französischen Sozialisten
Derweil begann bei den übrigen Parteien das Wundenlecken. Acht der zwölf Kandidaten verfehlten die Schwelle der notwendigen fünf Prozent, um knapp die Hälfte der Wahlkampfkosten erstattet zu bekommen. Das stürzt die Verlierer nun auch in finanzielle Probleme. Schon am Montag riefen der Grüne Jadot sowie die Republikanerin Pécresse zu Spenden auf. „Es geht um das Überleben der republikanischen Rechten“, warnte Pécresse. Kurz nach ihrer parteiinternen Kür hatte es danach ausgesehen, als könne sich die Präsidentin der Hauptstadtregion für die Stichwahl qualifizieren. Doch sie, die zeitweise die Partei verlassen hatte, um gegen deren Rechtsruck zu protestieren, ließ sich vom rechten Flügel unter Druck setzen, deren harte Positionen in Sachen Einwanderung oder innere Sicherheit zu übernehmen. So zitierte sie bei einem Besuch in einer Vorstadt sogar einen berühmten Satz von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der 2005 in seiner Position als Innenminister gedroht hatte, die Banlieues „mit dem Kärcher vom Gesindel“ zu säubern. Weder der deutsche Hersteller für Hochdruckreiniger noch Sarkozy hießen dies gut.
Besonders dramatisch ist der Absturz der französischen Sozialisten, deren Kandidatin, die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, mit 1,8 Prozent gerade noch vor zwei trotzkistischen Bewerbern lag – eine Schmach und ein kaum zu unterbietendes historisches Tief der früheren Regierungspartei.