Das Jubelgeschrei brach an diesem Sonntagabend in Paris nicht bei jener Wahlparty aus, wo es alle im Vorfeld erwartet hatten, nämlich bei der Feier des rechtsextremen Rassemblement National. Sondern im Nordosten der Hauptstadt, wo das Linksbündnis Neue Volksfront seine Anhänger versammelt hatte, lagen sich Menschen in den Armen lagen und stimmten spontan die Marseillaise an, so als sei Frankreich jetzt gerettet. „Die Stimmung ist unbeschreiblich“, rief ein Reporter in eine Fernsehkamera.
Überraschend lag das Bündnis aus der Linkspartei LFI (La France Insoumise, „Das unbeugsame Frankreich“), Sozialisten, Grünen und Kommunisten an erster Stelle, gefolgt vom Lager des Präsidenten Emmanuel Macron und erst auf dem dritten Platz dem rechtsextremen Rassemblement National (RN). Bei dessen Wahlveranstaltung am Abend war die Atmosphäre gedrückt. Dennoch versuchte Parteichef Jordan Bardella, seinen Anhängern Mut zu machen. „Ich weiß, dass Millionen von Menschen enttäuscht sein werden“, rief der 28-Jährige. „Aber heute beginnt alles erst!“ Im Fall einer absoluten Mehrheit für seine Partei hätte Bardella Regierungschef werden sollen, der in Interviews längst davon sprach, was er alles unternehmen werde, „wenn ich in ein paar Tagen Premierminister bin“. Davon konnte nun keine Rede mehr sein.
Weder Marine Le Pen noch Emmanuel Macron erreichen absolute Mehrheit
Keiner der drei Blöcke erzielte die absolute Mehrheit von mindestens 289 der 577 Sitze in der Nationalversammlung. Den Hochrechnungen vom Abend zufolge können die Linken mit 177 bis 192 Sitzen rechnen, Macrons Allianz mit 152 bis 158 und der RN mit 138 bis 148. Das sind zwar deutlich mehr als die bisherigen 88 RN-Abgeordneten. Aber das Ergebnis liegt weit hinter den Erwartungen zurück. Die Republikaner erreichten 63 bis 67 Sitze.
Aufgrund der außerordentlichen Dynamik für die Rechtsaußen-Partei in allen Umfragen und auch bei der ersten Runde vor einer Woche hatte die Wahl als historisch gegolten. Dementsprechend groß war das Interesse trotz der gerade begonnenen Sommerferien. Die Wahlbeteiligung war ungefähr so hoch wie bei der ersten Runde, als 67 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgaben.
Linksbündnis gewinnt Parlamentswahl in Frankreich
LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon versuchte, sich als unbestreitbarer Anführer der Linken aufzuschwingen, indem er kurz nach 20 Uhr als Erster, noch vor Vertretern seiner Bündnispartner, vor die Mikrofone trat. „Die Lektionen des Votums sind eindeutig: Die Niederlage des Präsidenten und seiner Koalition ist klar bestätigt, der Präsident muss sie eingestehen, ohne zu versuchen, sie auf irgendeine Weise zu umgehen“, tönte der linke Volkstribun, den viele auch aus dem eigenen Lager kritisch sehen, auch weil ihm immer wieder Antisemitismus vorgeworfen wurde.
Im Vorfeld der Wahl war ein Streit darüber entbrannt, welche Persönlichkeit die Linken im Fall eines Wahlsiegs, der lange als utopisch galt, als Premierminister vorschlagen würden. Die Debatten darüber werden künftig noch mehr an Fahrt aufnehmen. Der ehemalige sozialistische Präsident François Hollande wird als gewählter Abgeordneter in die Nationalversammlung einziehen – und zweifellos eine entscheidende Rolle suchen.
Kylian Mbappé warnte vor einem Rechtsruck in Frankreich
Mit bedingt wurde die Niederlage für den RN, weil sich die anderen Parteien gegen Rechtsaußen verbündeten. In mehr als 200 Wahlbezirken, wo sich Kandidaten der drei großen Lager RN, Neue Volksfront und Macrons Mitte-Bündnis für die zweite Runde qualifiziert hatten, zogen sich die Drittplatzierten zurück. Es war ein Wiedererstarken einer „republikanischen Front“ gegen die Rechtsextremen, die jahrzehntelang üblich war. Zuletzt hatte sie gebröckelt – bis nun eine Übernahme der Macht durch die Partei greifbar erschien. Ökonomen, Gewerkschafter, Künstler, Musiker und Sportler wie Fußball-Star Kylian Mbappé hatten im Vorfeld davor gewarnt.
Macrons Lager hatte zwar das Nachsehen, allerdings war das Resultat weniger dramatisch als befürchtet. Durch seine einsam und überraschend getroffene Entscheidung am Abend der EU-Wahlen, die Nationalversammlung aufzulösen, hat er sich noch weiter von den Menschen entfernt – und von bisher loyalen Mitstreitern. Premierminister Gabriel Attal kündigte nach dem Überraschungssieg des Linksbündnisses seinen Rücktritt an. Das Mitte-Lager von Macron verfüge über keine Mehrheit mehr, teilte er nach Bekanntwerden erster Hochrechnungen mit. Auch Innenminister Gérald Darmanin hat angekündigt, nach der Wahl das Kabinett verlassen zu wollen und, sollte er ein Mandat erhalten, lieber als einfacher Abgeordneter „ein neues Projekt aufzubauen“. Und das wenige Wochen vor den Olympischen Spielen in Paris, bei denen die von Darmanin betreuten Sicherheitsfragen entscheidend für das Gelingen sein werden.
Präsident Macron steht vor schwieriger Zusammenarbeit mit neuem Regierungschef
Für den Staatschef steht nun eine komplizierte „Kohabitation“ an, bei der der Präsident und der Regierungschef nicht vom selben politischen Lager sind. Damit drohen mühsame Absprachen oder gar eine Blockade, sollten Kompromisse nicht gelingen.
Noch-Premierminister Attal zeigte sich am Sonntagabend kämpferisch: Seine Formation habe dreimal mehr Sitze bekommen, als Umfragen vorausgesagt hatten – dennoch gebe es kein Weiter so. „Eine neue Ära beginnt“, sagte Attal. „Wir müssen alles in Frage stellen, um ein neues politisches Angebot zu schaffen.“
Macron äußerte sich nicht offiziell. Der Élysée-Palast ließ am Sonntagabend wissen, der Präsident warte erst die Strukturierung der neuen Nationalversammlung ab, bevor er „die notwendigen Entscheidungen“ treffe. Tatsächlich wird er diese mehr denn je berücksichtigen müssen.
Eine Ampelregierung für Frankreich wäre wohl eine angemessene Bestrafung für die Regierung der letzten Jahre.
Ein großer Sieg der Demokraten über die Rechtspopulisten und auch die radikale putintreue Linke Melenchons wurde eingebremst. Macron bleibt Präsident und er hat nun die Aufgabe, einen Regierungschef zu ernennen, hinter dem sich Macronisten, Sozialisten, Grüne und andere gemäßigte Linke versammeln können. Für Deutschland und die restliche EU ist das eine sehr gute Nachricht.
Ja, Gott sei Dank haben sich die Franzosen gegen Rechts zusammengeschlossen. Aber warum Sie erwähnen, dass Macron Präsident bleibt, erschließt sich mir nicht. Er stand nicht zur Wahl (erst 2027 wieder) und er hat im Vorfeld der vorgezogenen Wahlen klar gemacht, dass er nicht zurücktreten wird.
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