Den Franzosen stehen harte Zeiten bevor. Während in diesem Jahr bereits zwischen sechs und zehn Milliarden Euro im Haushalt fehlen, muss die Regierung 2013 mindestens 33 Milliarden Euro einsparen. Nur so lässt sich das den EU-Partnern versprochene Ziel, das Haushaltsdefizit von derzeit 4,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im kommenden Jahr auf die Maastrichter Defizitmarke von drei Prozent zu senken und 2017 einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren, wie gestern der französische Rechnungshof bekannt gab, nachdem er als unabhängige Instanz auf Bitte von Präsident François Hollande einen Kassensturz durchgeführt hat.
Die desolate finanzielle Lage Frankreichs will er auf die Rechnung der Vorgängerregierung setzen – und so die nun zu erwartenden Sparmaßnahmen rechtfertigen, die er im Wahlkampf nur unscharf angekündigt hat. „Die Zahlen hängen nicht mit meiner Aktion zusammen. Ich erinnere daran, dass ich erst am 15. Mai anfing“, reagierte Hollande auf die Meldung, die Wachstumsaussichten würden für das laufende Jahr von 0,5 auf 0,4 Prozent heruntergeschraubt und für 2013 von 1,7 auf 1 Prozent. Gleichzeitig ging die Kaufkraft um 0,6 Prozent zurück und Frankreichs Schulden stiegen auf 89,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes an.
Wie Hollande das Haushaltsloch stopfen will, ist noch unklar
Die Zeichen stehen auf Sparen. Heute wird Premierminister Jean-Marc Ayrault eine Regierungserklärung für die großen Linien für die kommenden fünf Jahre abgeben, dann verhandelt der Ministerrat über das Jahresbudget.
Nachdem Hollande zunächst einige Wahlversprechen wahr gemacht hat, wie eine vorgezogene leichte Anhebung des Mindestlohnes, die teilweise Rückkehr zur Rente mit 60 und die Neueinstellung tausender Lehrer, bleibt unklar, wie er das klaffende Haushaltsloch stopfen will.
Die Herausforderung zu meistern, hält Rechnungshof-Chef Didier Migaud für machbar. „Frankreich hat schon einmal Anstrengungen von diesem Umfang gemacht in den neunziger Jahren, um sich für den Euro zu qualifizieren.“ Während Hollande bislang vor allem auf Mehreinnahmen durch Steuererhöhungen und den Abbau von Steuernischen setzte, die Gutverdiener und große Unternehmen stärker belasten, rät Migaud zu deutlichen Ausgabenkürzungen.
Dem Präsidenten steht ein Streit um die Mehrwertsteuer bevor
In kaum einem anderen europäischen Land fallen die öffentlichen Ausgaben so sehr ins Gewicht wie in Frankreich. Die Finanzkontrolleure halten auch eine zumindest zeitweise Anhebung der Mehrwert- oder der allgemeinen Sozialsteuer für „kaum vermeidbar“; allerdings will die Regierung die von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy für Herbst beschlossene Mehrwertsteuer-Erhöhung rückgängig machen. „Frankreich hat die Gefahrenzone nicht verlassen, in der sie sich seit mehreren Jahren befindet“, sagt Migaud in einem Interview mit der Zeitung Le Monde. „Die Sanierung hat begonnen, aber der Großteil des Weges liegt noch vor uns.“
Die Lesart, dass die Vorgängerregierung ein riesiges Loch hinterlassen habe, teilt der Rechnungshofchef nicht: Eine Unterfinanzierung von ein bis zwei Milliarden Euro sei üblich. Die Defizite seien alt und von konservativen wie linken Regierungen verursacht. „Sie gaben die Mühen sofort auf, sobald sich die Konjunktur verbesserte.“ Doch je länger man warte, desto schmerzhafter werde es: „Besser jetzt Anstrengungen zu machen, als sie uns morgen von anderen aufzwängen zu lassen.“
Hollande in Not: Milliarden-Defizit