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Frankfurt: Nach Angriffen auf Polizisten: "Jetzt eskaliert die Lage"

Frankfurt

Nach Angriffen auf Polizisten: "Jetzt eskaliert die Lage"

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    Mitarbeiter der Stadtreinigung beseitigen am Morgen vor der Alten Oper Scherben der zertrümmerten Scheiben einer Bushaltestelle.
    Mitarbeiter der Stadtreinigung beseitigen am Morgen vor der Alten Oper Scherben der zertrümmerten Scheiben einer Bushaltestelle. Foto: Frank Rumpenhorst, dpa

    Plötzlich wird aus friedlich feiernden Jugendlichen ein aggressiver Mob. Glasflaschen fliegen aus der Menge auf anrückende Polizisten und zerbersten an den Beamten. Etwa 500 bis 800 Menschen jubeln über jeden Treffer. So beschreibt der Frankfurter Polizeichef das, was sich in der Nacht auf Sonntag auf dem Opernplatz abgespielt hat.

    Ausgangspunkt für die Krawalle waren wohl betrunkene Jugendliche, die sich in die Haare kamen. Die Polizisten versuchten nach eigenen Angaben zu deeskalieren - und seien kurzerhand zum gemeinsamen Feindbild der Schläger geworden. Mindestens fünf Beamte sind dem Polizeichef zufolge verletzt worden. 39 Menschen wurden festgenommen, unter ihnen eine Frau. Der überwiegende Teil von ihnen sei polizeibekannt, unter anderem wegen Körperverletzung, Diebstahl oder Drogendelikten. Auch in Aschaffenburg kam es am Wochenende zu Gewalt, auch dort wurden Flaschen auf Polizisten geworfen. Vergleichbare Szenen hatten sich erst vor wenigen Wochen auch in Stuttgart abgespielt. Die Bilder von randalierenden Männern und geplünderten Geschäften, lösten bundesweit Entsetzen aus.

    Wissenschaftler zu Krawallen in Frankfurt: "Jugendliche fühlen sich seit Monaten eingesperrt"

    In den Augen von Polizeiwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Feltes haben die vielen Ausschreitungen einen deutlichen Bezug zur aktuellen Situation: "Junge Menschen fühlen sich - und sind es teilweise auch - seit Monaten eingesperrt." Sie haben dem Experten zufolge keine Möglichkeit, Clubs oder Freizeiteinrichtungen aufzusuchen, in denen sie sich ansonsten getroffen hätten. Die Partykultur gebe es schon länger, allerdings meist in geschlossenen Räumen. "Und sie war bislang im Wesentlichen gewaltfrei. Jetzt eskaliert die Lage", sagt Feltes unserer Redaktion.

    Corona-bedingt müssten sich die Jugendliche neue Versammlungsorte suchen, an denen sie dann als störend empfunden werden. So etwa auch in der Augsburger Maximilianstraße. Erst vor einer Woche sind hier bei einer Schlägerei Polizisten angegriffen worden. Bundesweite Schlagzeilen machte auch die Eskalation Ende Mai vor einer Bar in der Augsburger Feiermeile. Menschen warfen Tische und Stühle um und skandieren "Polizeigewalt", nachdem ein Beamter von einer Frau gebissen wurde und daraufhin versucht hatte, sie zu schlagen.

    Aber woher kommt diese Gewaltbereitschaft bei den Jugendlichen gegenüber den Staatsdienern? Dafür hat Feltes eine einfache Erklärung: "Polizei und Einsatzkräfte werden als 'Spielverderber' gesehen." Unter dem Einfluss von - oft zu viel - Alkohol eskaliere die Situation, weil sich die Jugendlichen den öffentlichen Raum, wo sie sich treffen können, nicht wegnehmen lassen wollen, berichtet der Polizeiwissenschaftler. Denn dies sei die einzige Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten zu treffen.

    Feltes ist auch überzeugt: "Man inszeniert dann auch diese Gewalt und filmt sich und andere für die sozialen Netze, weil man endlich einmal öffentlich wahrgenommen wird und Beachtung findet." Es entstehe eine besondere Gruppendynamik, der sich der einzelne kaum entziehen könne. "Gewalt wird zum emotionalen Erlebnis in einer ansonsten relativ ereignislosen Zeit - im Gefühl der Jugendlichen, nicht objektiv betrachtet", berichtet der Experte. Plötzlich hätten die Jugendlichen das Gefühl, mächtig und stark zu sein – in der Gruppe. Hinzu komme die aktuelle Diskussion um Polizeigewalt und Rassismus in der Polizei, erklärt der Experte: "Zumal viele der Jugendlichen selbst schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben." Dies sei nicht der auslösende Faktor, aber er führe mit dazu, dass sich die Mitläufer in der Gruppe solidarisieren und dann eben entweder mitmachen oder die Gewalttäter verbal unterstützen.

    Auch in Augsburg gab es zuletzt Ausschreitungen und Gewalt gegen Polizisten

    Wie es zuletzt eben in der Augsburger Maxstraße oder am Frankfurter Opernplatz der Fall war. Bei der Lösung des Problems setzen die Städte auf verschiedene Ansätze. In Augsburg soll die Außengastronomie künftig statt bis Mitternacht nun bis 1 Uhr nachts geöffnet bleiben. Im Gegenzug wird der To-Go-Getränkverkauf stark eingeschränkt. In Frankfurt setzen die Behörden hingegen auf eine Sperrstunde, künftig gilt am Opernplatz ab Mitternacht ein Betretungsverbot. Gerade letzteres hält Polizeiwissenschaftler Feltes für einen Fehler: "Wir haben im Moment generell eine aggressiver werdende Situation in unserer Gesellschaft. Verbale Attacken würden intensiver - in den sozialen Netzwerken, aber auch aus politisch rechten Ecken."  Es gäbe zunehmend ein gesellschaftliches Selbstverständnis, das von Gewalt, Aggression und Durchsetzung sowie populistischen Einstellungen geprägt sei. "Viele Jugendliche fühlen sich hier noch mehr an den Rand gedrängt, weil sie keine Macht hätten. Dieses Gefühl wird verstärkt, wenn man Räume sperrt", gibt der Experte zu bedenken. Zudem würde sich das Geschehen an andere Orte verlagern, ohne dass die Grundsituation geändert würde.

    Generell, betont Feltes, sei die Jugendgewalt in den vergangenen Jahren allerdings deutlich zurückgegangen. "Wir haben es hier also mit Ausnahmesituationen zu tun, die man nicht überbewerten, allerdings auch nicht unterschätzen sollte." In den Augen des Polizeiwissenschaftlers wäre es nun wichtig, das Gespräch mit den Jugendlichen zu suchen. "Und zwar nicht erst dann, wenn es zu Ausschreitungen kommt und die Personen dann - auch alkoholbedingt - kaum noch ansprechbar sind", sagt er. Ein enorm wichtiger Punkt ist nach Meinung des Experten zudem, dass die Polizei das Vertrauen der jungen Menschen gewinnen müsse. "Dies kann sie nur dann, wenn sie beispielsweise auch Fehler einräumt, die gemacht werden. Im Moment sehe ich die Polizei - und die Politik - leider eher mit dem Rücken an der Wand in einer aggressiven Verteidigungshaltung."

    Ruhig ist hingegen in den kleineren umliegenden Städten und der ländlichen Gegend. Und das hat einen ganz einfachen Grund, erklärt Feltes: "Dort gibt es schlicht mehr junge Menschen und die fallen dort auch mehr auf." Zudem seien die Möglichkeiten, sich privat zu treffen, beschränkt oder teils sogar nicht vorhanden, so der Experte: "Auch, weil die Jugendlichen und jungen Erwachsenen oft aus sozial randständigen beziehungsweise benachteiligten Bereichen kommen."

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