Im kleinen Lokal „Vino Wien“, in unmittelbarer Nähe zum Parlament, herrschte am Sonntag Feierstimmung. Die Spitzen der FPÖ hatten zur Wahlparty geladen und schon früh war klar: Die Europawahl würde zum Triumph für Parteichef Herbert Kickl werden. Erstmals seit 1945 erreicht die extreme Rechte in Österreich bei einer bundesweiten Wahl Platz eins. Ein historischer Erfolg, den man offenbar lieber unter sich genießen wollte: Zahlreichen Journalisten blieb der Zutritt zur FPÖ-Party verwehrt. Fast die gesamte internationale Presse erhielt keine Akkreditierung – das Platzangebot sei beschränkt, so die Erklärung aus der Partei.
Schlussendlich kam die FPÖ auf 25,7 Prozent der Stimmen – vor der konservativen ÖVP, die mit 24,7 Prozent und einem Minus von fast 10 Prozentpunkten eine herbe Niederlage einstecken musste. In der Partei von Kanzler Karl Nehammer war dennoch eine gewisse Erleichterung zu verspüren – der zumindest überschaubare Rückstand auf die FPÖ deutet für die im September anstehenden Nationalratswahlen auf ein Duell zwischen Nehammer und Kickl hin.
In der ÖVP herrscht eine gewisse Ratlosigkeit
Trotzdem herrscht in der Kanzlerpartei eine gewisse Ratlosigkeit. Schließlich hatte man alles versucht, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen illegale Migration und für Sicherheit aufzutreten – und so eine Alternative zur Kickl-FPÖ abzugeben. Er habe die „Botschaft verstanden“, sagte Nehammer noch am Wahlabend. Welche das genau sei, ließ der Kanzler aber weitestgehend offen.
Ratlosigkeit herrscht auch bei den Sozialdemokraten. „Glauben Sie mir, wenn ich wüsste, was besser zu machen ist, ich würde es tun“, sagte SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Schieder am Wahlabend. Seinen Bonus eines erfahrenen EU-Mandatars konnte Schieder nicht nutzen, mit leichten Verlusten landeten die Sozialdemokraten bei rund 23 Prozent auf Platz drei. Für Parteichef Andreas Babler ist das Ergebnis dennoch ein Grund für Optimismus, schließlich liege man ja nur ein paar Prozentpunkte auseinander. Die teils massive parteiinterne Kritik an Babler, inklusive regelmäßiger medienwirksamer Breitseiten, wird durch das schwache Ergebnis kaum abnehmen.
Österreichs Grünen bleibt ein Absturz erspart
Mit einem blauen Auge kamen die Grünen davon – der durch die teils heftig kritisierte Berichterstattung der Zeitung Der Standard ausgelöste Skandal um die Spitzenkandidatin Lena Schilling trug zwar zum Verlust eines der bisher drei EU-Mandate bei, ein Absturz wie in Deutschland aber blieb den Grünen erspart. Über ein zusätzliches Mandat dürfen sich die liberalen Neos freuen. Nur drei Prozent holten die zuletzt bei Landtagswahlen so erfolgreichen Kommunisten.
Der historische erste Platz vom Sonntag bedeutet nun vor allem starken Rückenwind für die FPÖ und deren Parteichef Herbert Kickl. Weder den intern zerstrittenen Sozialdemokraten noch den nach rechts gerückten Konservativen ist es bisher gelungen, die Dynamik für die extreme Rechte in der Alpenrepublik zu brechen: Nach wie vor scheinen Revanche-Gefühle, was die Corona-Pandemie betrifft, Angst, Unsicherheit und Ablehnung von Migration und Zuwanderung der FPÖ die Stimmen zuzutragen. Glaubt man den Wahlforschern, waren die klassischen rechten Themen noch wichtiger für den Wahlausgang als die in Österreich besonders hohe Inflation.
Er werde sich umgehend mit der in Frankreich ebenfalls siegreichen Marine Le Pen vom Rassemblement National treffen, verkündete FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky am Sonntagabend. Die FPÖ hatte als einzige Partei der rechtsextremen Fraktion „Identität und Demokratie“ gegen einen Ausschluss der deutschen AfD gestimmt. Nun wollen Kickls Mitstreiter in Brüssel alles daran setzen, Le Pen dazu zu bewegen, sich im EU-Parlament mittelfristig doch wieder mit den deutschen Rechten zu vereinen.
Bei der Nationalratswahl könnte die FPÖ noch mehr mobilisieren
Dass der Erfolg der FPÖ schließlich doch etwas bescheidener als erwartet ausgefallen war, sollte nicht täuschen: Nur etwas mehr als jeder zweite Wahlberechtigte machte am Sonntag vom Stimmrecht Gebrauch, der FPÖ fällt die Wählermobilisierung bei EU-Wahlen traditionell schwer. Bei den vergangenen Nationalratswahlen 2019 lag die Wahlbeteiligung mit rund 75 Prozent deutlich höher, auch für den kommenden Wahltermin im Herbst dürfte eine höhere Beteiligung als bei der Europawahl der FPÖ eher in die Hände spielen.
Bezeichnend ist auch die Stimmungslage in manchen Bundesländern: Über 28 Prozent erreichte die FPÖ am Sonntag im einwohnerstarken Oberösterreich und in der Steiermark, in Kärnten waren es gar 33 Prozent. Die Reaktionen auf den FPÖ-Wahlsieg zeigen auch: Die Österreicher haben sich an die extreme Rechte gewöhnt.