Fati Dosso lag im Sand unter einem dürren Strauch, ihre sechsjährige Tochter Marie neben ihr. Mutter und Kind waren verdurstet. Libysche Grenzer fanden ihre Leichen vor wenigen Tagen in der Wüste an der Grenze zu Tunesien. Das Bild der 30-jährigen Dosso und Marie wird zum Symbol der Verzweiflung von vielen schwarzafrikanischen Flüchtlingen, die von den tunesischen Behörden in der Wüste ausgesetzt werden. Menschenrechtler werfen der EU vor, diese Brutalität bei dem neuen Flüchtlingsdeal mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied hinzunehmen.
Dosso und Marie waren zusammen mit Familienvater Pato am 16. Juli von der tunesischen Polizei zusammen mit etwa 30 weiteren Schwarzafrikanern in die Wüste gebracht und ohne Wasser ihrem Schicksal überlassen worden, wie Pato der Selbsthilfeorganisation „Refugees in Libya“ sagte. Die Gruppe wollte sich in Libyen in Sicherheit bringen, doch Vater Pato war zu schwach zum Laufen und sagte Frau und Tochter, sie sollten ohne ihn weitergehen. Er wurde in der Nacht von anderen Flüchtlingen gerettet, doch Fati und Marie starben auf dem Marsch. Pato identifizierte Frau und Kind anhand von Fotos der Leichen.
Bis zu 1200 Menschen wurden in der Wüste ausgesetzt
Fati aus der Elfenbeinküste und Pato aus Kamerun hatten sich 2016 als Flüchtlinge in Libyen kennengelernt. Ziel der Familie war Europa. Fünfmal versuchten die Eltern, mit ihrem 2017 geborenen Kind von Libyen aus per Boot nach Europa zu kommen, scheiterten aber. Schließlich wollten sie aus dem Bürgerkriegsland Libyen nach Tunesien auswandern, um ihre Tochter in die Schule schicken zu können. Doch die tunesischen Behörden schieben seit etwa einem Monat viele Schwarzafrikaner in die Wüstengebiete an den Grenzen zu Libyen im Osten und zu Algerien im Westen ab.
Bis zu 1200 Menschen sind nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seitdem in den Grenzgebieten ausgesetzt worden. Einige von ihnen wurden geschlagen und sexuell misshandelt, wie die Menschenrechtsorganisation HRW erklärte. Die libyschen Grenztruppen retteten nach eigenen Angaben mehrere Dutzend Flüchtlinge vor dem Tod. Nach internationaler Kritik, unter anderem von Papst Franziskus und UN-Organisationen, hat Tunesien inzwischen Hunderte von ihnen in Notunterkünfte gebracht, doch andere warten weiter auf Hilfe.
Tunesischer Präsident Saied schimpft über Migranten
Der tunesische Präsident Saied schimpft seit Februar über „Horden“ schwarzafrikanischer Migranten in seinem Land. Seitdem häufen sich Gewalttaten gegen Schwarzafrikaner, von denen viele aus Tunesien nach Italien übersetzen wollen. Statt Saied zu kritisieren, arbeitet die EU eng mit dem Präsidenten zusammen. Europa verkündete am 16. Juli – dem Tag, an dem die Familie von Fati Dosso in die libysche Wüste gebracht wurde – ein neues Flüchtlingsabkommen mit Tunesien. Die EU zahlt Saieds Regierung demnach mehr als 100 Millionen Euro für die Bekämpfung der illegalen Migration: Europa will, dass Saied die Flüchtlingsboote stoppt, die aus Tunesien nach Italien fahren. Fast 52.000 der 84.000 Menschen, die nach UN-Angaben seit Jahresbeginn per Schiff in Italien angekommen sind, waren in tunesischen Häfen losgefahren.
Vor sieben Jahren hatte die EU ein ähnliches Abkommen mit der Türkei geschlossen, um Flüchtlinge aus Syrien an der Überfahrt nach Griechenland zu hindern. Damals ging das Bild des dreijährigen syrischen Jungen Alan Kurdi um die Welt, der tot an einen türkischen Strand gespült wurde. Der Junge ertrank, als das Boot kenterte, das ihn und seine Familie nach Griechenland bringen wollte. Beim neuen Deal mit Tunesien ignoriere die EU die Brutalität der tunesischen Behörden gegen Schwarzafrikaner und die Demontage der tunesischen Demokratie durch Präsident Saied, kritisieren Menschenrechtler.