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Flüchtlingskrise: Wie ein Flüchtlingsheim Berlin-Pankow aufwühlt

Flüchtlingskrise

Wie ein Flüchtlingsheim Berlin-Pankow aufwühlt

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    Ein Bauzaun und Wachmänner schützen das Grundstück, auf dem die Bäume geschlagen werden sollen, um Platz für ein Flüchtlingsheim zu machen. Die Nachbarschaft ist empört.
    Ein Bauzaun und Wachmänner schützen das Grundstück, auf dem die Bäume geschlagen werden sollen, um Platz für ein Flüchtlingsheim zu machen. Die Nachbarschaft ist empört. Foto: Christian Grimm

    Am Montag sollen die Kettensägen ihr Werk verrichten. Drei Dutzend Bäume werden sie fällen und damit einer Nachbarschaft ihr kleines Idyll nehmen. Noch stehen sie auf zwei Karrees, umbaut von vierstöckigen Häusern am Pankower Schlosspark im Norden Berlins. Im Sommer spenden die Kastanien, Buchen und Linden Schatten, unter ihrem Blätterdach toben Kinder auf einem Spielplatz. Wenige hundert Meter entfernt steht das Schloss, das einst Friedrich der Große seiner Gattin schenkte. Später diente es dem ersten und einzigen Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, als Amtssitz. 

    Doch das kleine Idyll ist schon verschandelt. Provisorische Metallzäune umkränzen es. Dahinter tun Wachleute ihren Dienst, Holzfäller markieren die Bäume für den Einschlag. Nur ein bei Gericht gestellter Eilantrag könnte sie womöglich aufhalten. In der Nacht hatten die Wächter Hunde dabei, deren Kläffen die Leute in ihren Betten kein Auge zumachen ließ. 

    Ilona Baltin ist aufgebracht: Ihr Vater pflanzte die Bäume

    Ilona Baltin wohnt hier schon immer. Fassungslos steht sie am Zaum. Wäre sie eine Fußballspielerin in einer wichtigen Partie, würde der Reporter sagen, sie sei völlig von der Rolle. „Ich muss gleich heulen“, gesteht die 65-Jährige. „Mein Vater hat hier nach dem Krieg Aufbaustunden geleistet, er hat hier mit anderen die Bäume gepflanzt.“ Das war in den 50er und 60er Jahren. Ihre Schwiegermutter, so erzählt sie weiter, sei früher die Heizerin der Blocks gewesen. „Ich habe hier meinen Mann im Freibad kennengelernt, ich war 14, er war 17.“

    Der Räuber ist die staatseigene Wohnungsbaugesellschaft Geso-Bau. Ihr gehören auch viele der Häuser an der Ossietzkystraße, Ecke Kavalierstraße – und die Grundstücke mit den Bäumen. Wenn sie gefallen sind, will das Unternehmen zwei mehrstöckige Blocks für 400 Geflüchtete bauen. Es wird dann eng in der Nachbarschaft, in den heißen Sommern wird die Kühle des Schattens fehlen. 

    Ilona Baltin wohnt schon immer in der Nachbarschaft am Schlosspark. Sie fühlt sich von der landeseigenen Baugesellschaft Geso-Bau betrogen.
    Ilona Baltin wohnt schon immer in der Nachbarschaft am Schlosspark. Sie fühlt sich von der landeseigenen Baugesellschaft Geso-Bau betrogen. Foto: Christian Grimm

    Am Zaun kommen eine Handvoll Anwohner zusammen. Sie alle sind zornig, entsetzt, geschockt. „Schämt euch“, ruft einer den Männern hinter dem Zaum zu. Ein Wächter in schwarzer Jacke bleibt freundlich, erklärt lächelnd, dass er hier seine Arbeit mache und sagt: „Wir sind hier auch eingesperrt.“ 

    Geso Bau, so sehen sie es hier, habe sich mit Taschenspielertrick durchgesetzt

    Es ist nicht so, dass sie hier Angst haben vor den Flüchtlingen, es ist aber auch nicht so, dass sie vor Freude in die Hände klatschen, bald 400 mehrheitlich junge Männer aus Afghanistan, Syrien, dem Iran und Afrika ihre neuen Nachbarn nennen zu dürfen. Es geht ihnen darum, aber auch um mehr. Es geht darum, wer Platz für neue Wohnungen in einer dichter werdenden, unbezahlbar gewordenen Stadt machen muss. Es geht um den Wert von Bürgerbeteiligung und die Macht der Mächtigen. Die Auseinandersetzung im Berliner Norden könnte in beinahe jeder deutschen Großstadt spielen.

    „Was hier läuft, ist ein Wahlgeschenk für die AfD“, erzählt einer der Mieter. Seine Frau und seine kleine Tochter sind an seiner Seite. Er geht an Schulen und spricht über die Demokratie, doch sein Vertrauen in eben jene Herrschaft des Volkes über die Eliten ist erschüttert. 

    Denn die Geso-Bau, so sehen es alle hier, hat sich im Verbund mit dem Berliner Senat rücksichtslos durchgesetzt – und zwar mit einem üblen Taschenspielertrick. Indem die Gesellschaft zwei Flüchtlingsheime errichtet, kann sie Sonderbaurechte ziehen. Diese sind eingeführt, damit die Kommunen Schutzsuchenden schnell ein Dach über den Kopf bieten können. Im Pankower Fall hebeln sie aber ein Bau-Veto des Bezirks wegen des Klimanotstands Bäume und unversiegelte Flächen bleiben müssten. Lediglich zwei kleinere Gebäude hätten in den Höfen gebaut werden dürfen. Es wäre ein Kompromiss, dem die Nachbarschaft zähneknirschend zugestimmt hatte. 

    Der doppelte Trumpf der Geso-Bau

    Seit 2019 rang ihr engagierter Teil in der Bürgerbeteiligung mit dem Unternehmen, eine Bürgerinitiative hatte sich gegründet. Für die Geso-Bau hat der Kompromiss keine Bindung. Der Klima-Bebauungsplan „des Bezirks ist nicht verabschiedet und entfaltet daher auch keine Rechtskraft. Unser Auftrag als kommunale Wohnungsbaugesellschaft ist es, Wohnungen für Geflüchtete auf eigenen Flächen zu errichten“, erklärte das Unternehmen auf Anfrage. 

    Zuletzt kamen deutlich mehr Flüchtlinge über die Grenze zu Polen und Tschechien nach Deutschland.
    Zuletzt kamen deutlich mehr Flüchtlinge über die Grenze zu Polen und Tschechien nach Deutschland. Foto: Bernd Wüstneck, dpa

    Die Baugesellschaft hält damit einen doppelten Trumpf in ihren Händen. Denn sie bekommt die Wohnungen und kann gleichzeitig dem Protest den Wind aus den Segeln nehmen. Denn wenn die Anwohner weiter lautstark protestieren, machen sie sich verdächtig, gegen Flüchtlinge zu sein. Die AfD versucht, den Widerstand für sich zu nutzen und wollte das Projekt im Berliner Abgeordnetenhaus debattieren. Davor aber, von der AfD benutzt zu werden, haben die zornigen Nachbarn auch Angst.

    In fünf Jahren endet der Mietvertrag der Geso-Bau mit dem Landesamt für Flüchtlinge. Er könnte verlängert werden, oder aber die Wohnungen könnten ganz normal an reguläre Mieter vergeben werden. Als kommunales Unternehmen strebt das Unternehmen möglichst bezahlbare Mieten an. Der Preis allerdings ist hoch: Das Viertel um den Schlosspark verliert den Glauben daran, dass die Mächtigen Rücksicht nehmen müssen. 

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