Am Donnerstag berät Bundesinnenministerin Nancy Faeser zusammen mit Vertretern von Ländern, Städten und Gemeinden bei einem Flüchtlingsgipfel das weitere Vorgehen. Die Erwartungen an das Innenministerium sind hoch – vor allem was eine zusätzliche finanzielle Unterstützung betrifft. Doch schon vor dem Gipfel hat Faeser diese Erwartungen an den Bund gedämpft.
Wie viele Flüchtlinge sind 2022 nach Deutschland gekommen?
Im vergangenen Jahr sind nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mehr als eine Million Menschen aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland gekommen. Zudem beantragten 2022 217.774 Menschen aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und anderen Staaten erstmals Asyl in Deutschland. Das sind so viele wie seit 2016 nicht mehr.
Im Januar 2023 kamen 29.072 Asylanträge hinzu. "Es ist sehr schwierig, aber es ist deshalb schwierig, weil Putin diesen Krieg angefangen hat. Acht von zehn Flüchtlingen kommen aus der Ukraine, das macht die große Zahl aus", sagte Faeser Anfang der Woche bei einer Veranstaltung der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Wie ist die Lage in den Kommunen?
Grundsätzlich werden Regionen mit hoher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit relativ viele Flüchtlinge zugewiesen. Jedoch haben diese Regionen oft wenig bezahlbaren Wohnraum. Aus diesem Grund fordern Kommunalpolitiker aus dem Main-Taunus-Kreis, in der Nachbarschaft von Faesers Wohnort in Hessen, von Bundeskanzler Scholz andere Kriterien für die Zuweisung neuer Flüchtlinge. Eine "gerechtere Verteilung" mahnten diese Woche aber auch Cottbus und der angrenzende Landkreis Spree-Neiße an. Die Stadt hätte laut Schlüssel 1120 Asylbewerber aufnehmen müssen, hat aber bereits mehr als 1400 untergebracht. Grund ist wohl weniger die Wirtschaftsstärke als die Nähe zur polnischen Grenze. Eine andere, allseits als "gerecht" empfundene Verteilung in Deutschland dürfte also schwierig werden.
Deshalb fordert der Städte- und Gemeindebund neben schnelleren Asylverfahren und einer "Rückführungsoffensive" eine "zielgenauere Verteilung" von Schutzsuchenden in der gesamten EU. "Die Kommunen brauchen bei der Aufnahme von Flüchtlingen eine "Atempause"", meint der Kommunalverband. Die Verteildiskussion auf EU-Ebene ist jedoch seit Jahren ergebnislos.
Wo werden die Flüchtlinge untergebracht?
"Viele Kommunen sind bei der Unterbringung von Geflüchteten bereits jetzt an der Belastungsgrenze angekommen", heißt es in einem Papier des Städte- und Gemeindebunds. Gerade die Geflüchteten aus der Ukraine seien oft zuerst in Familien oder Ferienwohnungen untergekommen, doch sei diese Kapazität "aufgebraucht", berichtete Landrat Onno Eckert (SPD) aus dem thüringischen Landkreis Gotha vor einigen Tagen im Deutschlandfunk. Jetzt kämen Asylsuchende hinzu. Es gebe bei ihm 400 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften, aber wenig freie Wohnungen.
Nach einer Recherche des Mediendiensts Migration wurden seit März 2022 bundesweit fast 74.000 Aufnahmeplätze geschaffen. Die Strukturen seien insgesamt stark ausgelastet. Es gebe aber Unterschiede: In Bayern seien die Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen zu 90 Prozent belegt, in Hessen zu 50 Prozent.
Faeser hat bereits zugesagt, mehr freie Gebäude des Bundes für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. Das ist aber nicht überall schnell umsetzbar. Einige Kommunalpolitiker hoffen zusätzlich auf leerstehende Liegenschaften der Länder.
Was fordern Städte und Kommunen beim Flüchtlingsgipfel?
Neue Regeln für die Verteilung von Asylbewerbern, mehr Katastrophenhilfe im Erdbebengebiet und eine schnelle Unterstützung der Kommunen: Mit diesen Erwartungen geht der Deutsche Städtetag zum Flüchtlingsgipfel im Bundesinnenministerium. "Viele Städte sind am Limit und benötigen dringend mehr Unterstützung für die Aufnahme von Geflüchteten", sagte der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Eckart Würzner, der Deutschen Presse-Agentur.
Eine weitere finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern rund um Ostern reiche nicht, zumal jetzt schon klar sei, dass die zugesagten Mittel für 2023 nicht ausreichen würden. Der Bund müsse die Kosten der Unterkunft in vollem Umfang übernehmen, forderte Würzner. Zudem müssten die Verfahren rund um die Unterbringung geflüchteter Menschen rechtlich vereinfacht werden. Deutschland und andere Staaten müssten außerdem schnelle und umfassende Wiederaufbauhilfe in der Türkei und Syrien leisten, sowie weiterhin auch in der Ukraine. "Mit schneller und umfassender Notfall- und Wiederaufbauhilfe muss den Menschen deshalb ein Leben vor Ort ermöglicht werden, um ihnen so eine Flucht aus ihrer Heimat zu ersparen.", sagte Würzner der dpa.
Insbesondere Kinder aus der Ukraine, die mit ihren Müttern geflüchtet sind, brauchen Plätze in Kitas und Schulen. In Ballungsräumen herrscht allerdings ohnehin schon Lehrerinnen- und Erziehermangel. Landrat Schmidt aus Märkisch-Oderland verweist auf das Konfliktpotenzial: Die Kinder hätten einen Bildungsanspruch, aber wenn die Gruppen und Klassen zu groß würden, gebe es Unmut der übrigen Eltern. Schmidt spricht sich auch dafür aus, Asylbewerbern ähnlich wie den Geflüchteten aus der Ukraine sofort eine Arbeitserlaubnis zu geben. Immer wieder höre er die Klage von Bürgern, dass die Ankommenden über Jahre in Sozialsystemen blieben.
In Sachsen, wo vielerorts erneut gegen die Unterbringung von Flüchtlingen protestiert wird, will der Landkreis Mittelsachsen selbst in die Rolle des Bauherrn schlüpfen, um preiswerten Wohnraum für insgesamt 500 Menschen zu schaffen. Die Geflüchteten könnten so regional fairer verteilt werden. Von der Genehmigung bis zur Fertigstellung brauche ein solcher Neubau allerdings immer noch 16 bis 18 Monate.
Was fordert Bayern beim Flüchtlingsgipfel?
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fordert vor dem Flüchtlingsgipfel eine härtere Gangart gegen illegale Einreisen. "Ich erwarte endlich Taten bei der Begrenzung der illegalen Zuwanderung", sagte er dem Handelsblatt. Mit Blick auf die Flüchtlingskosten forderte Herrmann eine größere Beteiligung des Bundes und sagte: "Irgendwie Durchwursteln geht nicht mehr." Weitere Bundeshilfen in Höhe von acht Milliarden Euro halte er für angemessen.
Wer ist beim Flüchtlingsgipfel dabei?
An dem Flüchtlingsgipfel am Donnerstag nehmen die kommunalen Spitzenverbände, die 16 zuständigen Landesminister, Vertreter des Bundesfinanz- und des Bundesbauministeriums und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung teil.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird nicht dabei sein, obwohl die kommunalen Spitzenverbände wiederholt gefordert hatten, dass er den Gipfel leiten soll. Denn die Bundesinnenministerin kann keine finanziellen Zusagen machen. Zudem liegen die Verhandlungen im Europäischen Rat in der Hand von Scholz. Er lehnte es laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aber ab, das Thema ins Kanzleramt zu holen. Es gebe eine klare Absprache zwischen Scholz und Faeser, dass die Innenministerin für das Thema zuständig sei.
Worüber wird beim Flüchtlingsgipfel gesprochen?
Die Länder und kommunalen Spitzenverbände werden beim Flüchtlingsgipfel die Lage in den Kommunen schildern. Bundespolizeipräsident Dieter Romann und Hans-Eckhard Sommer, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, werden die Lage bewerten und eine Prognose hinsichtlich der weiteren Entwicklungen abgeben. Ein Fokus wird auf der Unterbringung der Menschen liegen.
Auch die Rückführung der Flüchtlinge wird ein Thema sein. Der Migrationsbeauftragte der Bundesregierung Joachim Stamp (FDP) soll die Bemühungen intensivieren, mit den Herkunftsländern Rücknahmeabkommen auszuhandeln. Auch über europäische Flüchtlingspolitik könnte gesprochen werden – vor allem die Sicherung der Außengrenzen. (mit dpa)