Herr Schwartz, Sie sind seit wenigen Monaten Hauptgeschäftsführer von Renovabis, dem Mittel- und Osteuropa-Hilfswerk der katholischen Kirche. Gerade befinden Sie sich in Rom zu Ihrem Antrittsbesuch. Wie blickt man im Vatikan auf die jüngste Eskalation der Lage in der Ukraine? Dort führt der russische Präsident Putin nun einen Angriffskrieg...
Thomas Schwartz: Wir sind alle fassungslos über die Ereignisse, die sich jetzt ja überschlagen. Wir haben nun einen Angriffskrieg in Europa - und in dieser Weise gab es so etwas in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die gesamte Nachkriegsordnung ist damit auf den Kopf gestellt worden. Souveränität und Völkerrecht bedeuten offensichtlich hier wenig. Aber es ist nicht Aufgabe der Kirche oder von Renovabis, politische Entwicklungen zu kommentieren.
Sondern?
Schwartz: Wir sind dazu aufgerufen zu helfen - vor Ort und mit unseren Partnern, zum Beispiel mit Caritas International. Dort, wo Hilfe überhaupt möglich ist. Ich glaube, es ist gerade auch notwendig, Informationen, die wir bekommen, an die Öffentlichkeit zu geben. So können wir Menschen mit Informationen versorgen, die sie nicht aus offiziellen Quellen bekommen. Und: Wir zeigen und stehen für Solidarität. Wir werden aufgreifen, was Papst Franziskus am Mittwoch gesagt hat: Der Aschermittwoch solle zum Tag des Gebetes für den Frieden in der Ukraine gemacht werden.
Hatten Sie an diesem Donnerstagmorgen schon Kontakt zu Menschen in der Ukraine?
Schwartz: Ich selber nicht. Aber das ist im Moment auch relativ schwer. Für die Menschen in der Ukraine ist es nun vordringlich, dass sie sich schützen vor Granaten-, Bomben- und Raketeneinschlägen. Ich weiß aber: Die Angst dort ist groß.
Welche Folgen könnte das haben?
Schwartz: Wir müssen uns auf Flüchtlingsströme einstellen. Es wird dazu kommen, dass viele Menschen in der Ukraine vor den feindlichen Invasoren, vor der Armee Russlands fliehen werden. Das wird dazu führen, dass auch Menschen in den europäischen Ländern ankommen werden - die sicher nicht freiwillig ihr Land verlassen. Sie sehen nicht Deutschland als ihr Hoffnungsland, sondern sie werden aus Not, aus Angst um ihre Familien bei uns ankommen. Und darauf müssen wir uns nicht nur logistisch einstellen, sondern es braucht hierzu auch eine mentale Vorbereitung in unserer Gesellschaft. Wir müssen unsere Köpfe wieder mit unseren Herzen verbinden und eine WiIlkommenskultur der Nächstenliebe entwickeln.
Sie sagten kürzlich, in der Ukraine herrsche eine gewisse Gelassenheit. Der Kriegszustand sei nichts Neues, da die Menschen in Teilen des Landes seit über acht Jahren Gewalt und Bombenanschläge als tägliches Leben wahrnehmen müssten...
Schwartz: Mit dieser Gelassenheit ist es vorbei. Da sieht man auch an den Reaktionen der Politiker in der Ukraine. Es wurde der Kriegszustand erklärt. Wir von Renovabis und wir als Kirchen werden jetzt aber den Fehler nicht mehr machen, den man früher gemacht hat: dass wir Militärmaßnahmen fordern oder Waffen segnen. Diese Zeiten sollten endgültig vorbei sein.
Was werden Sie dann tun?
Schwartz: Wir versuchen, jeden Gesprächskanal und jeden Kanal, der den Frieden wieder eintreten lassen kann, möglich zu machen und offen zu halten. Es muss zur Diplomatie zurückgekehrt werden. Und: Wir werden offensiv mit den Waffen des Glaubens werden, und das ist vor allem das Gebet.
Sanktionen sollen Putin zum Einlenken bringen.
Schwartz: Wir sollten sehr ernst nehmen, was er und was die russische Führung sagt. Und das ist erschreckend. Wir von Renovabis werden uns nun eng mit unseren Partnern abstimmen, wie und wo wir gezielt helfen können.
Was sagen denn Russen zur Situation in der Ukraine?
Schwartz: Ich habe hier in Rom mit ein paar russischen Staatsbürgern gesprochen. Sie sind beschämt und erschüttert. Sie verstehen die Situation auch nicht.
Zur Person: Der langjährige katholische Pfarrer von Mering (Kreis Aichach-Friedberg) und Buchautor Thomas Schwartz hat im vergangenen Oktober seine neue Stelle als Hauptgeschäftsführer des Mittel- und Osteuropa-Hilfswerks der katholischen Kirche mit Sitz in Freising angetreten. Renovabis ist, neben Adveniat oder Misereor, eines der kirchlichen Hilfswerke. In dessen Geschäftsstelle sind mehr als 50 Mitarbeiter beschäftigt. Sein Vorgänger Christian Hartl kehrte als Bischöflicher Beauftragter für geistliches Leben ins Bistum Augsburg zurück.
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