Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Finnland: Nato-Beitritt "unverzüglich" geplant

Verteidigung

Historische Entscheidung: Finnland will "unverzüglich" in die Nato

    • |
    Die finnischen Truppen könnten schon bald die Nato verstärken.
    Die finnischen Truppen könnten schon bald die Nato verstärken. Foto: Heikki Saukkomaa, dpa

    Es ist eine Entscheidung, die die Nato nachhaltig verändern wird. Der finnische Präsident Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin haben sich für einen „unverzüglichen“ Nato-Beitritt ihres Landes ausgesprochen. Die Reaktionen fielen geradezu euphorisch aus – vor allem im Osten Europas: „Ich freue mich über diesen großen historischen Tag!“, schrieb die litauische Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte auf Twitter. „Geschichte wird geschrieben von unseren nördlichen Nachbarn“, bekräftigte die estnische Regierungschefin Kaja Kallas.

    Tatsächlich ist der geplante Beitritt der Finnen eine verteidigungspolitische Zäsur. Finnland teilt sich eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland und fühlt sich deshalb besonders bedroht. Das land, das bis zur Unabhängigkeit 1917 dem russischen Zarenreich angehörte, sieht die Gefahr, dass man ebenfalls in den imperialistischen Großmachtfantasien Wladimir Putins eine Rolle spielen könnte. Der Angriffskrieg hat das letzte Vertrauen zerstört, das gegenüber

    Es ist kein Jahr her, da standen nur rund 20 Prozent der Bevölkerung hinter der Idee einer Nato-Mitgliedschaft. In der jüngsten Umfrage des finnischen Rundfunksenders Yle sprachen sich 76 Prozent der Befragten für einen Nato-Beitritt aus. Wenn alles nach Plan läuft, könnte Finnland noch in diesem Jahr offizielles Mitglied werden. Voraussichtlich am Sonntag wird Finnland einen formellen Beitrittsantrag beschließen. Die finnische Bekanntgabe erhöht nun den Druck auf Schweden, zeitnah eine Entscheidung hinsichtlich einer Nato-Mitgliedschaft zu treffen.

    Die Nato freut sich über den Antrag Finnlands

    Im Brüsseler Nato-Hauptquartier ist man derweil nicht nur bereit, sondern auch gewillt, die Kandidaten im Eiltempo aufzunehmen. Man werde Finnland und Schweden „mit offenen Armen empfangen“, hatte Generalsekretär Jens Stoltenberg in den vergangenen Wochen fast mantrahaft wiederholt. Gestern versicherte er, der Beitrittsprozess würde „reibungslos und zügig ablaufen“. Finnland sei einer der engsten Partner der Nato, eine gereifte Demokratie, EU-Mitglied und ein maßgeblicher Faktor, wenn es um die euroatlantische Sicherheit gehe.

    Finnland und Schweden haben zwar ihre strikte Neutralität aufgegeben, als sie 1995 nach dem Ende des Kalten Krieges der EU beitraten. Und doch markiert der Moment für Finnland seine eigene Version der deutschen Zeitenwende, nachdem der nordeuropäische Staat fast 80 Jahre lang bündnisfrei blieb und offiziell auf militärische Neutralität setzte. Stattdessen herrschte in dem nordeuropäischen Land ein aus der Historie gewachsenes Selbstbewusstsein. Im Winterkrieg 1939/1940 hatten sich die Finnen erfolgreich gegen die mächtige sowjetische Rote Armee behauptet.

    Das bringen Finnland und Schweden für die Nato mit

    „Der Wunsch von Schweden und Finnland, in die Nato aufgenommen zu werden, und die Politikänderung in diesen Ländern zeigt, dass der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands zu einem Bedeutungszuwachs von Verteidigungsbündnissen wie der Nato führt, die mit ihren militärischen Beistandspflichten der nuklearen Erpressung und Sicherheitsbedrohung durch Russland entgegenwirken“, sagt der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter unserer Redaktion. Der Beitritt der beiden Länder zeige die Geschlossenheit des Westens.

    Wolfgang Richter, Militärexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sieht den Beitrittswunsch auch als Ausdruck dafür, dass sich die beiden Länder nicht auf die bereits bestehenden Beistandsklauseln der EU verlassen wollen. „Im Unterschied zur EU verfügt die Nato über eine durchstrukturierte militärische Organisation und zugeordnete schwere Präsenzkräfte an der Ostflanke. Und vor allem: Die Allianz hat die Führungsmacht USA im Rücken, mit ihrer erweiterten nuklearen Abschreckung“, sagt Richter.

    Hinzu kommt: Beide Länder suchen nicht nur Schutz, sie bringen auch selbst militärische Power mit: Während Schweden eine starke Luftwaffe einbringen könnte, verfügt Finnland über eine starke Landesverteidigung mit sehr schlagkräftiger Artillerie. Die modern ausgerüstete Truppe besteht aus über 23.000 Aktiven, im Krisenfall steht eine Reserve von 250.000 Soldatinnen und Soldaten bereit. „Das Land mit seinem Wehrpflicht- und Mobilmachungssystem bringt militärisch etwas auf die Waage“, sagt Richter. Und doch gibt es auch eine Kehrseite: Der Oberst a. D. bedauert, dass Helsinki nach einem Nato-Beitritt „als wichtiger Vermittler zwischen dem Westen und Russland wegfallen“ würde.

    Russland droht nach der Ankündigung Finnlands mit Gegenmaßnahmen

    Verärgert fielen die Reaktionen in Russland aus. „Eine abermalige Ausweitung der Nato macht unseren Kontinent nicht stabiler und sicherer“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Russland werde die Folgen eines Nato-Beitritts Finnlands mit Blick auf seine eigene Sicherheit analysieren. Ein Nato-Beitritt werde den russisch-finnischen Beziehungen schweren Schaden zufügen, ließ das Außenministerium in einer Mitteilung verlautbaren. „Russland wird gezwungen sein, sowohl militärisch-technische als auch andere Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um wachsenden Bedrohungen für seine nationale Sicherheit Rechnung zu tragen.“

    Militärexperte Wolfgang Richter sieht „derzeit keine unmittelbare russische Bedrohung“ für Finnland oder Schweden. „Dazu fehlt Russland die militärische Kraft, seitdem es seine Landstreitkräfte durch die Konzentration auf den Ukraine-Krieg strategisch überdehnt hat.“

    Die gemeinsame Sicherheitsgarantie der Nato beruht auf Artikel 5, dem Eckpfeiler der Allianz, der besagt, dass eine Attacke eines Nato-Mitglieds ein Angriff auf alle ist. In der Geschichte der Organisation wurde der Bündnisfall erst einmal ausgerufen – als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden