Kaum ist der Streit um das Heizungsgesetz zumindest innerhalb der Koalition befriedet, wächst sich ein nächster Streitpunkt zur schmutzigen Schlacht zwischen der FDP und den Grünen aus. Im Ringen um die Kindergrundsicherung eskaliert die Debatte inzwischen regelrecht. Nachdem die grüne Familienministerin Lisa Paus ein wirtschaftspolitisches Vorhaben von Finanzminister Christian Lindner (FDP) ausgebremst hat, um Unterstützung für ihren Kampf gegen Kinderarmut zu erzwingen, stellt der nun die Kindergrundsicherung generell infrage. Und greift dafür zu Argumenten, für die er heftige Kritik erntet.
„Es gibt einen ganz klaren Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kinderarmut“, sagte der FDP-Politiker am Dienstag dem Radiosender Bayern 2. Statt Eltern Geld zu überweisen, sei es besser, die Integration voranzutreiben, Angebote zur Sprachförderung zu machen und Migranten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Kritiker werfen dem Parteichef und Minister empört vor, Kinder gegeneinander auszuspielen. Man müsse das eine tun, ohne das andere zu lassen – zumal Integration ein eher langfristiges Projekt sei. Der Chef des Verbands Bildung und Erziehung, Gerhard Brand, machte in der Stuttgarter Zeitung deutlich: „Der Vorstoß von Bundesfinanzminister Christian Lindner ist ein Affront gegen von Armut betroffene Kinder.“ Und er ist nicht der einzige: „Ich halte es für unsäglich, wenn der Finanzminister nun anfängt, arme Kinder aus Deutschland auszuspielen gegen die Kinder, die mit ihren Familien aus der Ukraine zu uns flüchten mussten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider.
Viele ukrainische Kinder leben von Sozialleistungen
Tatsächlich geben die bloßen Zahlen zumindest Lindners Theorie recht: Kinderarmut war in den vergangenen Jahren in Deutschland rückläufig – sie ist erst durch den verstärkten Zustrom von Migranten wieder angestiegen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) erhielten im März 2023 als größte Gruppe rund 275.500 ukrainische Kinder und Jugendliche Bürgergeld. Die mit Abstand zweitgrößte Gruppe waren Kinder und Jugendliche aus Syrien. Im Vergleich: In der Zeit von 2010 bis 2022 ist die Zahl von Kindern und Jugendlichen mit deutschem Pass, die die entsprechenden Sozialleistungen erhielten, gesunken – und zwar von rund 1,37 Millionen im Dezember 2010 auf rund 895.000 im Dezember 2022. Der Wert für März 2023 liegt nach BA-Angaben bei 1,02 Millionen, steigt also ebenfalls an. Betroffen sind vor allem Kinder von Alleinerziehenden oder Familien mit mehr als drei Kindern.
54 Prozent der 2015 nach Deutschland Geflüchteten seien im Jahr 2021 erwerbstätig gewesen, ermittelte das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Ende Juli. Von den Erwachsenen, die aus der Ukraine flohen, habe nach einem Jahr mehr als ein Viertel (28 Prozent) gearbeitet, heißt es vom Institut.
Wer heute an Kindern spart, zahlt später drauf
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in der vergangenen Woche eine Studie vorgelegt, nach der Kinderarmut weitaus umfassendere Folgen hat als nur die akute Notlage. Arme Kinder haben schlechtere Bildungschancen, sind daher auch häufiger im Erwachsenenalter von Sozialleistungen abhängig. Arme Kinder haben häufiger gesundheitliche Probleme. Auch deshalb spricht sich DIW-Chef Marcel Fratzscher für die Kindergrundsicherung aus. „Es ist richtig, dass mehr Investitionen in Bildung, Schulen und Kitas und andere Hilfen von großer Bedeutung sind, um Chancen und Potenziale vor allem für Kinder und Jugendliche aus einkommensschwächeren Haushalten zu erhöhen“, sagt er. „Es ist jedoch falsch, die Kindergrundsicherung gegen andere Maßnahmen aufzuwiegen. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch.“
Die Kindergrundsicherung ist ein Vorhaben, das vor allem von den Grünen vorangetrieben wird. Ziel ist es, staatliche Unterstützungsleistungen für Familien zu bündeln (Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes) und dafür zu sorgen, dass alle Berechtigten sie auch tatsächlich bekommen. Denn bisher stellt nur ein kleiner Teil der Familien überhaupt die entsprechenden Anträge. Allerdings hat Paus bislang noch kein abgeschlossenes Konzept vorgelegt, auch die Frage der Kosten ist nicht beantwortet. (mit dpa)