Herr Thomae, wo waren Sie, als die Ampel-Koalition geplatzt ist?
STEPHAN THOMAE: In meinem Bundestags-Büro in Berlin.
Wussten Sie, was passieren würde?
THOMAE: Ich hatte eine Ahnung. Aber eines will ich betonen: Es gab kein Drehbuch.
FDP-Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte ein „Wirtschaftswendepapier“ verfasst, bei dem vor allem die SPD nicht mitgehen konnte.
THOMAE: Es hat sich gezeigt: Die Vorstellungen darüber, was das Land nun braucht, um wieder auf die Beine zu kommen, sind zu unterschiedlich. Dringend notwendige Reformen waren in einer Koalition mit SPD und Grünen nicht möglich. Aus Sicht der FDP braucht es einen grundsätzlichen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik, dafür waren andere nicht bereit. Daher lag es in der Luft, dass diese Woche anders enden könnte, als sie begonnen hat.
Es tobt gerade ein Kampf um die Deutungshoheit: Wer ist für den Koalitionsbruch verantwortlich?
THOMAE: Es geht mir nicht um Schuldzuweisungen. Aber der Hergang war doch der: Die FDP hat konstruktive Vorschläge zu Reformen gemacht, die aber mit SPD und Grünen nicht zu machen waren. Stattdessen hat der Kanzler vom Finanzminister ultimativ das Aussetzen der Schuldenbremse gefordert. Die Schuldenbremse steht aber nun einmal in der Verfassung. Als Christian Lindner das folglich ablehnte, weil er damit seinen Eid verletzt hätte, das Grundgesetz zu achten, hat der Kanzler die Zusammenarbeit aufgekündigt. Lindner hatte angeboten, einen Nachtragshaushalt zu beschließen und weiterhin gemeinsam zu regieren. Zugleich wollte er die Bundestagswahl vorziehen, um klare Verhältnisse zu schaffen. Denn gerade die erneute Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten bringt für Europa Unsicherheiten. Bundeskanzler Olaf Scholz schlug sein Angebot aus.
Scholz stellte es so dar: Er habe Lindner diverse Vorschläge gemacht, der habe aber „keinerlei Bereitschaft“ gezeigt, sie „zum Wohle unseres Landes in der Bundesregierung umzusetzen“.
THOMAE: Olaf Scholz hat von Christian Lindner verlangt, einen verfassungswidrigen Haushalt vorzulegen, Lindner sollte die Schuldenbremse aussetzen. Das geht so nicht. Und was ich wirklich nicht verstehen kann: Lindner hatte ein geordnetes Verfahren vorgeschlagen: einen Nachtragshaushalt beschließen, bis zu vorgezogenen Neuwahlen weiter regieren und notwendige Gesetze beschließen. Nun hat Scholz doch vorgezogene Neuwahlen angekündigt, aber keinen Nachtragshaushalt und eine rot-grüne Minderheitsregierung, die nicht mehr alleine Gesetze beschließen kann. Also Chaos und Unsicherheit. Ich kann mir das nur damit erklären, dass der Kanzler persönlich angefasst war. Vernünftig ist sein Handeln nicht.
Scholz argumentierte mit der Ausnahmeregelung einer Notlage durch den Ukraine-Krieg.
THOMAE: Die drei Milliarden Euro, um die es hier ging, hätten wir im Haushalt abbilden können. Dafür hätte es keine haushaltspolitische Notlage gebraucht. Die Unterstützung der Ukraine stand für die FDP nie infrage. Jeder weiß, dass wir es waren, die den Kanzler dazu gedrängt haben, die Ukraine mit Waffensystemen zu versorgen.
Christian Lindner hat seine Entlassung also nicht provoziert?
THOMAE: Nein. Vielmehr zeigt das Statement des Bundeskanzlers, das er vom Teleprompter las, dass Lindners Entlassung vorbereitet war. Christian Lindner hat angeboten, weiterzuregieren.
Die Fakten sind jetzt diese: Scholz hat Lindner massiv kritisiert, der bisherige FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing tritt aus der Partei aus – und diese steht vor einer ungewissen Zukunft, schaut man auf Umfragen und die jüngsten Landtagswahlergebnisse.
THOMAE: Scholz wirkte persönlich angefasst und Nachtreten ist nie guter Stil. Das macht man einfach nicht. In so einer Situation muss man doch als Bundeskanzler souverän bleiben, sein Bedauern ausdrücken und die Vorgänge erklären. Seinem eigenen Finanzminister mehrfachen Vertrauensbruch vorzuwerfen und ihm die alleinige Schuld zu geben, das ist nicht der Stil, den ich von einem Bundeskanzler erwarte. Da erwarte ich mir eine gewisse Größe.
Was sagen Sie nun zum Zustand Ihrer Partei?
THOMAE: Es geht darum, was unser Land in der aktuellen außen- und innenpolitischen Lage braucht. Russland führt Krieg gegen die Ukraine, die USA werden nicht mehr so bedingungslos wie bisher an der Seite der Europäer stehen – angesichts dessen müssen wir die politischen Verhältnisse bei uns klären und zu mehr Stärke gelangen, um die Aufgaben, die auf uns zukommen, bewältigen zu können.
Das ist auch Ihre Antwort auf die Kritik, es sei verantwortungslos, ausgerechnet jetzt das Regierungsbündnis zu verlassen?
THOMAE: Es war der Bundeskanzler, der die Zusammenarbeit mit der FDP von jetzt auf gleich aufgekündigt hat. Jetzt müssen klare Verhältnisse geschaffen werden. Dafür machen wir den Weg frei. Wir treten aus der Regierung aus, wir setzen uns der Gefahr von Mandatsverlusten aus – das tut man nicht aus Verantwortungslosigkeit. Wir hätten uns in dieser Koalition so bis zu einer Bundestagswahl im September 2025 nicht weiter hangeln können.
Der Kanzler will am 15. Januar die Vertrauensfrage stellen, Neuwahlen wären dann wohl im März.
THOMAE: Ich komme dann rechnerisch auf den 6. April als spätesten Wahltermin. Ich fände es besser, wenn Scholz die Vertrauensfrage noch vor Weihnachten stellen würde.
Für die FDP ist die Gefahr groß, dass sie wieder in der außerparlamentarischen Opposition landen könnte – wie schon 2013.
THOMAE: Wir haben einen sehr, sehr klaren Kurs – und der steht in Christian Lindners Wirtschaftswendepapier. Das ist unsere Agenda für den Wahlkampf.
Wissing hatte sich öffentlich gegen Lindner positioniert: Ein Rückzug aus der Koalition wäre respektlos vor dem Souverän. Nun tritt er aus der FDP aus, will aber Bundesverkehrsminister bleiben. Sind Sie enttäuscht von ihm?
THOMAE: Ja. Volker Wissing steht aber nur für sich selbst, nicht für die Partei oder Teile der Partei.
Die FDP wird sich nicht spalten?
THOMAE: Nein, ich kann keine Lagerbildung in der FDP feststellen. Ich erwarte weder eine Spaltung noch eine Austrittswelle. Die Partei steht geschlossen hinter Parteichef Christian Lindner und sieht das Ende der Ampel als notwendigen Schritt. Ich sehe auch keine Absetzbewegungen von Lindner.
Lindner hatte die FDP zurück in den Bundestag geführt. Kritiker werfen ihm allerdings seit Jahren vor, er habe die Partei zur One-Man-Show gemacht.
THOMAE: Dieser Vorwurf entbehrt jeglicher Substanz. Wir haben eine ganze Reihe bekannter Gesichter – und wir haben einen Vorsitzenden, hinter dem wir stehen, und das ist Christian Lindner.
Die Union fordert Wissings sofortigen Rückzug. Sie auch?
THOMAE: Das ist allein Sache des Bundeskanzlers. Der hatte offensichtlich alle FDP-Kabinettsmitglieder gefragt, ob sie im Amt bleiben wollten. Bettina Stark-Watzinger und Marco Buschmann haben ihm deutlich gemacht: Wenn mit Finanzminister Lindner der Vorsitzende der FDP entlassen wird, dann bedeutet das die Entlassung der FDP aus der Regierung. Das hat ja übrigens auch Volker Wissing so gesehen und ist konsequenterweise aus der FDP ausgetreten.
Wie können nun die Ukrainehilfen bis zur Bundestagswahl gesichert werden? Um welche Summen geht es?
THOMAE: Wir wären bereit gewesen, durch Prioritätensetzung drei Milliarden Euro aus dem Haushalt zur Unterstützung der Ukraine umzuschichten. Zusätzlich hat die FDP darauf hingewirkt, dass 50 Milliarden Dollar aus russischem Vermögen an die Ukraine überwiesen werden. Es geht in erster Linie aber nicht um Geld, die Ukraine braucht Waffen und Munition. Die FDP hat sich daher immer für Waffenlieferungen ausgesprochen. Hier ist es weiterhin der Kanzler, der beispielsweise die Lieferung des Taurus blockiert.
Zur Person
Stephan Thomae, 1968 in Kempten geboren, ist Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Der Rechtsanwalt gehört dem Deutschen Bundestag seit 2017 an.
Der Mann kann sagen, was er will: Die Fakten über die zahlreichen Quertreibereien der FDP liegen auf dem Tisch und die Entscheidung Wissings, die FDP Lindners zu verlassen, spricht Bände. Lindner hat die FDP nach oben geführt und er führt sie jetzt in die Bedeutungslosigkeit. Er wird sicher bald in der Deutschen Bank oder deren Umfeld mit einem opulent ausgestatteten Vorstandsposten für seine Verhinderungsdienste entlohnt.
Es ist ja immer wieder nett zu lesen, wenn der kleinste Koalitionspartner glaubt, er könne die Richtung der Politik vorgeben. Und Herr Lindner hat ja nicht erst seit gestern Opposition im eigenen Lager gespielt. Er war es doch, der schon vor Wochen vom Herbst der Entscheidungen sprach. Jetzt Scholz die Schuld zu geben, weil er seine Erklärung vom Teleprompter abgelesen hat, ist ein Witz für sich. Wie lange braucht wohl ein Redenschreiber, bis er so eine Erklärung fertig hat? Ein Profi hat das in wenigen Minuten fertig. Aber Herrn Thomae ärgert es wohl mehr, dass Scholz endlich Führung gezeigt hat und sich nicht mehr von der FDP auf der Nase herumtanzen ließ.
Es ist immer wieder interessant, wie hier was kommentiert wird. Einerseits wird bzw. wurde immer moniert, dass Politiker nicht ihrem Gewissen bei politischen Entscheidungen folgen, andererseits wird jetzt genau die bei Herrn Lindner moniert. Da der Finanzminister sich weigerte, eine bestehende Schuldengrenze ohne jegliche Notwendigkeit zu erhöhen, wurde er durch den Kanzler entlassen. Scheinbar war aber hier auch mehr als diese eine Entscheidung ausschlaggebend für den Kanzler. Auch interessant, scheinbar sind mehr als viele Kommentatoren der Meinung, man könne beliebig viel Geld neu ausgeben. Nur Schuldengrenze ist Schuldengrenze. Und spätere Generationen werden definitiv davon betroffen sein. Sozialstaatlichkeit muss auch seine Grenzen haben.
Liebe AZ, wie oft wollen Sie uns nur die Meinung dieser 4% Partei präsentieren. Sind Sie mitlerweilen die Pressestelle der FDP?
Herr Xanter, Sie werden sich wundern, wie schnell diese heilige "Schuldengrenze" fällt, wenn erst mal die Union regiert und merkt, dass sie nicht genug Geld zur Verfügung hat.
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