Viele Unternehmen in Deutschland blicken mit Sorge auf die kommenden Jahre: Vor allem ab Mitte der 2020er Jahre werden viele Menschen aus der Babyboomer-Generation in Rente gehen. Den Betrieben im Land könnten dann noch mehr Fachkräfte als bisher fehlen. Bereits zwischen Juli 2021 und Juli 2022 verzeichnete das Institut für deutsche Wirtschaft Köln, kurz IW, eine halbe Million unbesetzte Stellen, so viele wie nie zuvor in der Bundesrepublik. Setzt sich diese Entwicklung fort, dann könnten bis zum Jahr 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen, wie aus einer Untersuchung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervorgeht. Mögliche Folgen: Die deutsche Wirtschaftsleistung leidet, der Personalmangel führt zu längeren Wartezeiten, die Betreuung etwa in Altersheimen wird schlechter.
Arbeitsminister Hubertus Heil hat schon vor einiger Zeit seinen Plan vorgestellt, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen: Die Ampel-Regierung aus SPD, FDP und Grünen will die Einwanderung erleichtern. Mit dem sogenannten Chancenaufenthaltsgesetz soll es für Menschen, die nicht aus den Ländern der Europäischen Union kommen, deutlich einfacher werden, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen. Wer vor der Einreise noch keinen Arbeitsvertrag hat, soll mithilfe einer "Chancenkarte" ein Jahr Zeit bekommen, um einen Job zu finden. Vorbild für ein solches Punktesystem ist Kanada.
Das Innenministerium will die Einbürgerung erleichtern
Kritik an den Plänen kommt aus der Union, die beim Thema Zuwanderung eine harte Haltung vertritt. Nach Krawallen in der Silvesternacht hatte CDU-Fraktionschef Friedrich Merz arabischstämmige Jugendliche zuletzt als "kleine Paschas" bezeichnet. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnte mit Blick auf Pläne aus dem Innenministerium, die Einbürgerung zu erleichtern, davor, "die deutsche Staatsbürgerschaft zu verramschen".
Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, hält im Gespräch mit unserer Redaktion dagegen: "Der Arbeitskräftemangel gefährdet Wirtschaft und soziale Sicherheit in unserem Land", betonte der Liberale. "Die Renten sind nur dann sicher, wenn es auch in Zukunft genug Beitragszahler gibt, vor allem, wenn die geburtenstarken Jahrgänge jetzt in Rente gehen." Daher müsse Deutschland "zum attraktivsten Einwanderungsland Europas" gemacht werden. Thomae räumte auch ein, dass es bei der Integration vielfach noch Defizite gebe, "etwa bei Sprache, Bürokratie oder bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse". Die Chancenkarte sieht er als "echte Trendwende", um ausländische Arbeitskräfte auf den deutschen Arbeitsmarkt zu bringen.
Daniel Günther: CDU sollte Migration als etwas Positives begreifen
Auch in den Reihen der Union gibt es Politiker, die von ihrer Partei eine offenere Haltung beim Thema Migration fordern. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther rief die CDU am Wochenende in einem Interview mit dem Tagesspiegel dazu auf, ihre Position zum Einwanderungsgesetz der Ampel zu überdenken. "Die CDU ist gut beraten, wenn sie Zuwanderung als etwas Positives begreift", sagte Günther. Es gehe nicht darum, Schwierigkeiten auszublenden. "Aber wir müssen in Deutschland weltoffen sein – schon allein, um das riesige Arbeits- und Fachkräfteproblem in den Griff zu bekommen und massive Wohlstandsverluste abzuwenden." Günther findet am Chancenaufenthaltsgesetz "vieles richtig". Er befürwortet auch den Plan der Ampel, Einbürgerungen schon nach fünf statt nach acht Jahren möglich zu machen.