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Ex-Entwicklungsminister: Aus Berlin zur Uno: Ein Besuch bei Gerd Müller in Wien

Ex-Entwicklungsminister

Aus Berlin zur Uno: Ein Besuch bei Gerd Müller in Wien

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    Neue Stadt, neue Aufgabe: Gerd Müller vor dem Uno-Gebäude in Wien.
    Neue Stadt, neue Aufgabe: Gerd Müller vor dem Uno-Gebäude in Wien. Foto: Ralf Lienert

    Die Wände sind noch kahl, die Regale noch so gut wie leer, den Schreibtisch von Gerd Müller allerdings ziert immerhin schon ein kleiner weißer Löwe aus Porzellan – ein Geschenk des bayerischen Gesundheitsministers Klaus Holetschek, der vor kurzem in Wien war. Es wird noch ein paar Wochen dauern, bis im Vorraum von Müllers Bürotrakt das Allgäuer Bergpanorama hängt, das er sich gewünscht hat, und auf der anderen Seite eine Bildergalerie des Kinderhilfswerks Unicef, die der Neue hier gerne sähe. Die Mühlen der Vereinten Nationen mahlen langsam, nicht nur, aber auch in Einrichtungsfragen.

    Wien, Wagramer Straße. Das Uno-Gebäude an der Donau versprüht den spröden Charme der Siebzigerjahre mit seinen Betonfassaden, den niedrigen Räumen und den etwas muffigen Fluren. Müller aber, so scheint es, hat dort eine neue Berufung gefunden nach 27 Jahren im Bundestag und acht Jahren als Entwicklungsminister. Als Generaldirektor der Unido, der Organisation für industrielle Entwicklung, ist der 66-jährige Allgäuer der einzige Deutsche in einem Spitzenamt der Uno und der erste Chef der Unido, der nicht aus einem Entwicklungs- oder Schwellenland kommt. Seine Aufgabe: Nicht Milliarden an Fördergeldern nach Afrika, Asien und Lateinamerika umleiten wie in seiner Zeit als Minister, sondern „Fortschritt durch Innovation“ in diesen Ländern, wie er im schönsten Managerdeutsch sagt.

    Müller: "Meine Aufgabe ist es, Projekte und Investoren zusammenzubringen."

    Unter Mithilfe der Unido werden Spritzmittel gegen einen Pilz entwickelt, der ganze Bananenernten vernichtet, resistente Reissorten mit größeren Erträgen gezüchtet oder klimaschädliche Abgase bei der Herstellung von Zement abgefangen. Mit öffentlichem Geld alleine, sagt Müller, sei das nicht zu schaffen. „Wir brauchen industrielle Partner. Meine Aufgabe ist es, Projekte und Investoren zusammenzubringen.“ In seiner Organisation arbeiten deshalb auch keine Entwicklungshelfer, sondern vor allem Ingenieure und Techniker. „Wir haben“, sagt er, „die Lösungen.“

    Berlin mit seinen Eifersüchteleien zwischen den einzelnen Ministerien, dem Parteien-Klein-Klein und der Dauerbeobachtung durch die Medien ist für Müller inzwischen weit weg, auch wenn er sein neues Amt nicht zuletzt seiner Arbeit als Minister und seinen guten Kontakten aus dieser Zeit verdankt. Deshalb, vor allem, hat er sich bei der Wahl im vergangenen Jahr gegen zwei Mitbewerber aus Bolivien und Äthiopien durchgesetzt. Nun soll er in die unter seinem chinesischen Vorgänger etwas träge gewordene Organisation mit knapp 700 Mitarbeiten in Wien und mehr als 1600 Experten in den verschiedenen Projekten neuen Schwung bringen - etwa, indem er ein eigenes Innovationslabor mit jungen Forschern einrichtet oder dem Thema Wasserstoff neue, größere Aufmerksamkeit schenkt.

    Müller: Auch 2050 mehr als zwei Drittel der Energie aus fossilen Brennstoffen

    „Energie ist der Schlüssel für jede Entwicklung“, sagt Müller. Bis zum Jahr 2050 werde der weltweite Bedarf an Energie um 70 Prozent zunehmen, und mehr als zwei Drittel davon würden auch dann noch aus fossilen Brennstoffen stammen. In Mosambik, zum Beispiel, liege die Kohle einfach zu fördern nur einen Meter unter der Erde. Hier gehe es nicht darum, Kohlekraftwerke zu verhindern, sagt Müller, sondern sie mithilfe modernster Technik möglichst sauber und umweltschonend zu betreiben. Die ganze Welt in 20 oder 30 Jahren komplett aus erneuerbaren Quellen zu versorgen, hält er für unmöglich: „Das ist eine Illusion.“ In Algerien oder Nigeria etwa gebe es noch gewaltige Mengen an Erdgas, die nur darauf warteten, in Pipelines nach Europa transportiert zu werden.

    Das klingt für einen, der in Berlin lange Zeit als der Öko-Konservativer galt, als das grüne Gewissen der CSU gar, erstaunlich defensiv. In den drei Monaten in Wien allerdings hat Müller gelernt, nicht alles nur durch die deutsche Brille zu betrachten, die gerade in der Energiepolitik häufig ein wenig rosa eingefärbt ist. „Ich denke global“, sagt er nun, und dass das nachhaltige Wirtschaften natürlich eines der wichtigsten Ziele seiner Organisation sei. Für Länder wie Mosambik oder Nigeria allerdings sind Kohle, Öl und Gas überlebenswichtig, sie finanzieren weite Teile ihrer Staatshaushalte mit den Einnahmen aus deren Verkauf. Umso nötiger sei es daher, sagt Müller, bestehende Techniken zum Abscheiden und Wiederverwerten von CO2 zu optimieren. Als Entwicklungsminister durfte er sich darum nicht kümmern, dafür waren andere zuständig. Also Unido-Chef darf er es.

    Wechsel zu den Vereinten Nationen ist für Müller ein folgerichtiger Schritt

    Viel mitgenommen nach Wien hat er nicht, die Plastikboxen mit den persönlichen Unterlagen aus dem Bundestags- und dem Ministerbüro lagern zuhause, im Allgäu, in der Garage. Dafür liegt auf einem Papierstapel hinter seinem Schreibtisch eine Mitgliederzeitschrift der Jungen Union aus dem Jahr 1988. „Es darf nicht sein, dass unsere Erde zuschanden geritten wird“, ist darin ein großer Text überschrieben. Und weiter: „Die Freiheit des Handels findet dort ihre Grenzen, wo sie den globalen Raubbau begünstigt.“ Müller war damals Landesvorsitzender der JU, nicht immer zur Freude von Parteichef Franz Josef Strauß, aber schon damals mit einem wachen Blick für die wahren Probleme der Welt ausgestattet.

    So gesehen, sagt er heute, sei der Wechsel zu den Vereinten Nationen im Dezember die logische Fortsetzung dessen, was er seit mehr als 30 Jahren mache, die Verlängerung einer politischen Lebenslinie, wenn man so will. Auch in seinem neuen Amt hat er die globalen Lieferketten im Auge und mehr Fairness im Welthandel als Ziel. Er wolle keine Schuhe tragen, beteuert Müller, deren Leder in einer äthiopischen Gerberei ohne Kläranlage behandelt wurde, und auch kein E-Auto fahren, in dem das Lithium in der Batterie aus einer Mine im Kongo komme, in der Menschen unter unwürdigsten Bedingungen schufteten.

    Vor kurzem hat ihm ein Freund ein Buch mit dem Titel „Never retire“ geschenkt, also am besten nie in Rente zu gehen. Mit 66 ist bei Müller deshalb, frei nach Udo Jürgens, noch immer nicht Schluss.

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