Ist Deutschland der Zahlmeister der EU?
Ist die an Stammtischen von Hobbybuchhaltern beliebte EU-Nettozahler-Debatte "sinnentleert" oder schlichtweg โBlรถdsinnโ? Gรผnther Oettingers Worten zeigen, dass der ehemalige EU-Haushaltskommissar kein groรer Fan der Diskussionen war. Vielleicht gibt die Brรผsseler Behรถrde den Saldo deshalb seit 2020 nicht mehr bekannt. Es ist tatsรคchlich รคuรerst schwierig, den genauen Betrag Deutschlands an die EU zu bestimmen. Nur so viel: Die Bundesrepublik steuerte 2022 netto mit zwischen 16,7 und etwa 19 Milliarden Euro โ je nach Rechenweise โ die hรถchste nationale Summe zum EU-Haushalt bei. Das heiรt: Die grรถรte Volkswirtschaft in der Gemeinschaft zahlt deutlich mehr ein, als dass sie aus den Fรถrdertรถpfen der Union wieder zurรผckbekommt. Konkret bedeutet das, dass mit durchschnittlich 237 Euro pro Kopf im Jahr 2022 niemand so viel an Brรผssel bezahlt hat wie die deutschen Bรผrger. Lettland, Litauen und Estland erhalten dagegen am meisten zurรผck. Bei den absoluten Zahlen fรผhren Polen, Rumรคnien und Ungarn die Liste der grรถรten Nettoempfรคnger an. Doch bevor der รrger bei den Europaskeptikern hochkocht, darf hinzugefรผgt werden, dass schlichtes Gegenrechnen kaum der Lage gerecht wird. Zum einen besagen die Regeln, dass die wohlhabenden Lรคnder die schwรคcheren Regionen unterstรผtzten, damit sich die Lebensverhรคltnisse nach und nach angleichen. Zum anderen ist Deutschland deutlich abhรคngiger vom Export als die meisten anderen. Die hiesigen Unternehmen profitieren also massiv. Auch ein Thema fรผr den nรคchsten Stammtisch?
Warum mรผssen angeblich Kรผhe Windeln tragen oder Gurken gerade sein?
Muฬssen Almkuฬhe bald Windeln tragen? Lassen irre Eurokraten nur noch Kondome bis zu einer Breite von 54 Millimetern zu, sodass besser bestรผckte Gentlemen ein Problem bekommen kรถnnten? Und โ der Skandal schlichthin โ schreibt Brรผssel die maximal zulรคssige Krรผmmung von Salatgurken vor? Letzteres ist das ultimative, etwas in die Jahre gekommene Symbol fรผr die gefรผhlte Regulierungswut der Behรถrde. Kein anderer Rechtsakt wird bis heute so oft angefรผhrt, um EU-Bashing anschaulich zu machen. Dabei schaffte die EU-Ko
enkrรผmmung und anderer Obst- und Gemรผsesorten im Sommer 2009 wieder ab. Dafรผr hagelte es Kritik, dieses Mal vonseiten des Groรhandels. Dieser hatte auf die Festlegung des Krรผmmungsgrades gepocht. Sie ermรถglichte es, rasch festzustellen, wie viele Gurken in einen Karton passen.ยWรคhrend die Sache mit den angeblichen Normgrรถรen fรผr Kondome vom berรผhmtesten EU-Skeptiker Boris Johnson, seines Zeichens Ex-Premierminister Groรbritanniens, erfunden wurde, waren buchstรคblich Windeln fรผr Kรผhe in Brรผssel nie im Gesprรคch, zumindest nicht direkt. Die EU-Kommission zog es tatsรคchlich in Betracht zu regulieren, wie viel Duฬnger kuฬnftig auf Hanglagen ausgebracht werden darf. Hintergrund dafuฬr waren die zu hohen Nitratwerte im Grundwasser. Mit dem รผberdrehten Windel-Aufschrei der einflussreichen Bauernlobbyisten verschwanden auch solche Plรคne wieder.
Ist die EU ein aufgeblรคhter Verwaltungsapparat mit รผberbezahlten Mitarbeitern?
Es gehรถrt zu den Lieblingsbeschรคftigungen von EU-Beamten, sich selbst arm zu rechnen. Wer bei einer europรคischen Institution beschรคftigt ist, der ist von der nationalen Steuerpflicht befreit. Stattdessen haben die EU-Beamten lediglich eine โamtsinterne Steuer" zu entrichten, die deutlich geringer ist. Nun bleibt das Steuerrecht der EU-Verwaltung ein so komplexes Thema, dass selbst Betroffene klagen. Ein Argument, das jeder hรถrt, der nur den Anflug von Kritik wagt: In der EU-Kommission arbeiteten โnurโ rund 33.000 Menschen, wird stets angefรผhrt. Allein die Stadtverwaltung Mรผnchen hat mehr. Laut Brรผsseler Behรถrde werden nur etwa sechs Prozent der Gesamtmittel fรผr Verwaltung und Personal ausgegeben. Insgesamt beschรคftigen die EU-Institutionen rund 60.000 Beamte. Verglichen mit dem รถffentlichen Dienst in Mitgliedstaaten wie Deutschland nehme sich die europaฬische Verwaltung also โbescheidenโ aus angesichts der europรคischen Gesamtbevรถlkerung von 450 Millionen Menschen.ย
Hat die EU ein Demokratiedefizit?
Es stimmt natรผrlich, das Europaฬische Parlament wird in der zweitgroฬรten demokratischen Wahl der Welt alle fuฬnf Jahre direkt bestimmt. Zudem sitzen im Ministerrat Vertreter gewรคhlter Regierungen der Mitgliedstaaten. Trotzdem, das demokratische Gefรผge der Union weist etliche Schwachstellen auf. Nicht nur, dass die Bรผrger ein europรคisches Parlament bestimmen, wรคhrend lediglich nationale Parteien zur Wahl stehen. Auch dass es in der EU kein gleiches Stimmrecht gibt, sorgt regelmรครig fรผr Kritik. Denn eine zypriotische Europaabgeordnete รผbt deutlich mehr Einfluss auf den Entscheidungsprozess aus als etwa ein deutscher Volksvertreter. So rechnen die Zweifler gerne vor, dass ein EU-Parlamentarier in Deutschland oder Frankreich 857.000 Bรผrger vertritt, in Luxemburg 83.000 und in Malta 67.000 Menschen, das heiรt, ein Politiker aus der Bundesrepublik reprรคsentiert mehr als zehn Mal so viele Wรคhler wie ein Abgeordneter aus Luxemburg oder Malta. Hinzu kommt, dass die Kompetenzen des Hohen Hauses Europas weiterhin schwach sind, es fehlen etwa ein Initiativrecht, also die Mรถglichkeit, Gesetze vorzuschlagen, und ein uneingeschrรคnktes Budgetrecht. Das Parlament muss dem Groรteil der Rechtsakte zwar zustimmen, aber die wirkliche Macht liegt weiter beim Rat, dem Gremium der 27 Mitgliedstaaten. Und zunehmend bei der EU-Kommission. Der Beamten-Apparat ist von den Bevรถlkerungen nicht durch ein Votum legitimiert, in den vergangenen Jahren wurden jedoch viele Entscheidungen unter Berufung auf einen Notfall-Paragrafen am Parlament vorbei getroffen, weil es schnell und unkompliziert gehen musste. Wie demokratisch ist das? Tatsรคchlich steht die Brรผsseler Behรถrde unter ihrer Chefin Ursula von der Leyen so mรคchtig da wie nie zuvor.