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Europawahl: Ursula von der Leyen ist auf eigener EU-Mission

Europawahl

Ursula von der Leyen ist auf eigener EU-Mission

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    So freute sich Ursula von der Leyen vor knapp fünf Jahren über die Wahl in die erste Amtszeit.
    So freute sich Ursula von der Leyen vor knapp fünf Jahren über die Wahl in die erste Amtszeit. Foto: Marijan Murat, dpa

    Ursula von der Leyen versteht es, sich auf großer Bühne zu inszenieren. Ihre Auftritte sind bis ins Detail geplant, kein Wort, das die EU-Kommissionspräsidentin von sich gibt, das vorher nicht im engsten Beraterkreis durchdiskutiert wurde. Disziplin und Professionalität – die perfekte Fassade ist hart erarbeitet. Insofern fällt von der Leyens Auftritt am Samstagvormittag gleich in zweifacher Hinsicht aus der Reihe. Sie ist bei der Münchner Sicherheitskonferenz zu Gast, ein Termin, wie ihn von der Leyen liebt. Internationales Publikum, Küsschen links, Küsschen rechts, Arbeitssprache Englisch. Und dann noch der Titel der Diskussionsrunde, "Europe's finest hour", klar, dass von der Leyen diese "Sternstunde" mit einleiten will.

    Allein, die selbst ernannte Chef-Mutmacherin Europas kommt zu spät. Die Diskutanten erörtern bereits die Äußerungen Donald Trumps zur Nato, als von der Leyen aus dem verdunkelten Zuschauerraum auf die erhöhte Bühne ins Scheinwerferlicht hastet. Verspätet, das ist das eine. Dann weicht von der Leyen auch noch vom Skript ab. Als sie kurz vor Schluss gefragt wird, ob sie es für eine gute Idee halte, einen EU-Kommissar für Verteidigungsfragen zu installieren, platzt es aus ihr heraus: "Oh yes!" Im Falle einer zweiten Amtszeit würde sie darauf hinwirken, dass es einen eigenen Posten für Verteidigung im neuen Kabinett gibt, sagt die 65-Jährige. Eine kurze Nachricht, die weite Kreise zieht und so nicht geplant war. 

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen tut, was sie sonst vermeidet

    Fast, so scheint es, ist die EU-Kommissionspräsidentin nicht ganz bei der Sache. Das mag daran liegen, dass sie an diesem Wochenende ein ganz anderes Projekt umtreibt als europäische Sicherheitsfragen – ihre zweite Amtszeit. An diesem Montag wird die CDU-Führung von der Leyen in Berlin als Spitzenkandidatin für die Europawahlen Anfang Juni vorschlagen. In zwei Wochen soll sie auf dem Parteitag der Europäischen Volkspartei (EVP), des Zusammenschlusses der christlich-demokratischen und bürgerlich-konservativen Parteien Europas, in Bukarest offiziell aufgestellt werden. Es soll von der Leyens große Stunde werden, ob es auch Europas Sternstunde ist, da gehen die Meinungen auseinander.

    Die Niedersächsin nutzt die Zeit davor in München. Sie trifft Julija Nawalnaja, die Witwe des in Russland verstorbenen Putin-Gegners Alexej Nawalny, perfekter Stoff für die sozialen Medien. Ansonsten aber geht es von der Leyen in München um: von der Leyen. Sie setzt sogar Termine an, die sie sonst eher vermeidet. Gleich mehrere Male ruft sie in den vergangenen Tagen Journalisten im kleinen Kreis zu einem Hintergrundgespräch, um den Boden für ihre Kandidatur zu bereiten. Sie habe schon mit sich gerungen, mit der Familie gesprochen, aber angesichts der Weltlage sei sie es sich schuldig anzutreten, erzählt sie in München. Was man halt so sagt. Ihre Leute formulieren es so: von der Leyen habe in ihrer Amtszeit wichtige Prozesse, ob beim Klimaschutz oder in Sachen Ukraine, angestoßen. "Das darf jetzt nicht in eine komplett andere Richtung kippen." Es ist unmissverständlich: Ursula von der Leyen glaubt, Europa brauche Ursula von der Leyen.

    Wie fällt die Bilanz von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus?

    Stimmt das? Wie fällt die Bilanz der Frau aus, die weitere fünf Jahre an der Spitze der EU-Kommission stehen will? 

    Nachgefragt bei Dennis Radtke, einem Europaparlamentarier der CDU, der von der Leyen zunächst kritisch sah. "Ihre Performance war enorm", sagt er nun. Von der Leyen sei "die einzige europäische Politikerin, die in den letzten Jahren Klarheit und Orientierung angeboten hat". So wie Radtke sehen viele von der Leyens Rolle als Krisenmanagerin in einer Zeit, in der sich Europa im Dauerausnahmezustand befand. Erst die Corona-Pandemie, als die Kommission den gemeinsamen Einkauf von Covid-Impfstoffen übernahm. Dann Russlands Einmarsch in die Ukraine, als von der Leyen maßgeblich die gemeinsame Antwort der Europäer formulierte. 

    Ursula von der Leyen bei der 60. Münchner Sicherheitskonferenz.
    Ursula von der Leyen bei der 60. Münchner Sicherheitskonferenz. Foto: Tobias Hase, dpa

    Erstmals in ihrer Geschichte finanzierte die EU den Kauf von Waffen und verhängte beispiellose Strafmaßnahmen gegen Russland. Die Deutsche war vorbereitet auf Wladimir Putins Aggression, pflegte engen Kontakt mit US-Präsident Joe Biden und nahm die Warnungen der Geheimdienste ernst, während man in einigen europäischen Hauptstädten noch die "Panikmache" aus Washington belächelte. 

    So weit zum Lob. 

    Auf der anderen Seite werfen ihr viele Europaabgeordnete Versäumnisse in der Handels- und Industriepolitik vor, Konservative sehen zudem die unternehmerische Freiheit eingeschränkt durch Verbrenner-Aus, Abgasnormen und immer strengere Vorgaben für die Wirtschaft, etwa bei Lieferketten. Im Zentrum der Kritik aber steht von der Leyens Prestigeprojekt: der Grüne Deal. Ihr Vorhaben zum klimafreundlichen Umbau der europäischen

    Wutbauern verbrannten Gummireifen im Europaviertel

    Mittlerweile aber, so warnen Beobachter, droht das ganze Projekt zu einem Rohrkrepierer zu werden. Tatsächlich schwindet zunehmend der Rückhalt in der Gesellschaft. Viele Bürger und Firmen plagen aktuell andere Sorgen als das Klima. Der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber formuliert es so: "Frau von der Leyen hat viel zu spät erkannt, dass man mit Bürokratie nicht Klimaschutz hinkriegt, sondern nur die Unternehmen gängelt."

    Kürzlich tuckerten Wutbauern aus Madrid, Amsterdam, Rom und Berlin nach Brüssel, verbrannten Gummireifen und verstopften mit ihren Treckern das Europaviertel. "Es reicht", so ihre Botschaft, die auch an von der Leyen gerichtet war. Um sowohl die Aufgebrachten zu besänftigen als auch ihren Grünen Deal zu retten, eröffnete die Behördenchefin Ende Januar einen "strategischen Dialog" zur Zukunft der Landwirtschaft. Ihr Ton, er klang milde. Auf einmal zeigte sie Verständnis für die Nöte der Landwirte wie die "Konkurrenz aus dem Ausland" und die "Überregulierung im eigenen Land". Mancher Beobachter hielt verblüfft inne. Überregulierung? Ja, hatte sie tatsächlich gesagt. Es durfte als Versöhnungsangebot verstanden werden – nicht nur an die Bauern, sondern vor allem an ihre eigene Fraktion. 

    Februar 2024, Brüssel: Landwirte wärmen sich an einem Feuer, während sie sich vor dem Parlament zu einem Protest versammeln.
    Februar 2024, Brüssel: Landwirte wärmen sich an einem Feuer, während sie sich vor dem Parlament zu einem Protest versammeln. Foto: Omar Havana, AP/dpa

    Die Konservativen verstehen sich dieser Tage gerne als Anwälte der Landwirte. Denn der Ärger auf der Straße, so befürchten sie in Brüssel, könnte nach den Europawahlen Anfang Juni in Form von Protestmandaten ins Parlament wandern. Alle Umfragen prophezeien einen deutlichen Rechtsruck. Und so probten die Christdemokraten im vergangenen Jahr den Aufstand, indem sie Teile des Naturschutzpakets der EU-Kommission bekämpften. Eskaliert war der Streit beim Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, das die Mitgliedstaaten verpflichten sollte, einen Teil der Ökosysteme in einen möglichst natürlichen Zustand zurückzuführen. Die EVP wollte das Vorhaben zerschießen. Hinter den Kulissen richtete sich der Frust auch gegen die Chefin. "Sie hat sich öfter mit Greta Thunberg getroffen als mit Wirtschaftsvertretern", sagt EU-Parlamentarier Ferber.

    Schlussendlich lenkte von der Leyen ein – oder kapitulierte sie? Radtke spricht von einem "neuen Realismus" in der Kommission. Nicht nur nahm sie den Vorschlag zum Verbot von Pflanzenschutzmitteln in bestimmten landwirtschaftlichen Gebieten zurück; auch das Renaturierungsgesetz wurde zur Freude der Landwirte weitgehend entschärft. Und dann ist da noch die Sache mit dem Wolf. Seit im Sommer 2022 von der Leyens 30 Jahre altes Pony namens Dolly im heimischen Burgdorf in der Region Hannover von einem Wolf gerissen wurde, treibt sie der Lupus um. "Fürchterlich mitgenommen" war die Familie der Präsidentin damals. Im Dezember empfahl die Kommission dann, die strengen Schutzregeln für Wölfe zu lockern. Von der Leyen habe "in den letzten Monaten klug umgesteuert und die Sorgen der Landwirte aufgenommen, bevor die Demonstrationen in Deutschland und vielen anderen Ländern losgegangen sind", sagt der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese. Gleichwohl könne man ihre Leistungen für den Klimaschutz "kaum überschätzen".

    Insgesamt beschreiben Kenner die Stimmung in der EVP als gemischt. Während sich die einen freuen, dass von der Leyen weitermachen wolle, "schlagen andere die Hände über dem Kopf zusammen", wie ein Mitglied sagt. Dennoch, die Fraktion sei zusammengerückt, heißt es, habe aber klare Erwartungen für die nächste Legislaturperiode. "Stichwort Nummer eins heißt nicht Green Deal, sondern Wettbewerbsfähigkeit und Stärkung des Binnenmarkts", sagt Ferber. Da wolle man "nicht nur Überschriften hören, sondern konkretes Handeln sehen".

    Ob von der Leyen wirklich an der Spitze bleibt, ist letztlich die Entscheidung des Europäischen Rats, dem Gremium der 27 Mitgliedstaaten. Das EU-Parlament kann danach nur noch begrenzt eingreifen. Für die Abgeordneten liegt hier der Fehler im System. Es ist auch der Grund, warum viele zunächst mit von der Leyen fremdelten. Denn Spitzenkandidat der EVP war 2019 eigentlich Manfred Weber gewesen, er kämpfte sich monatelang auf zugigen Marktplätzen und im grellen Licht der TV-Studios durch den Wahlkampf. Seine Fraktion wurde sogar stärkste Kraft, trotzdem ging der mächtigste Posten in Brüssel nicht an ihn, sondern an von der Leyen. Die Deutsche war bei der Wahl nicht als Spitzenkandidatin angetreten, sondern wurde dem Hohen Haus Europas von den Staats- und Regierungschefs mehr oder weniger vorgesetzt, manche würden sagen: aufgezwungen. 

    Von der Leyen oder ein Grüner, so ging die Drohung

    Aufgezwungen – so ganz anders ist es auch heute nicht. Denn politisch verbindet den deutschen CDU-Parteichef Friedrich Merz und von der Leyen nicht allzu viel. Trotzdem hatte er sich bereits im vergangenen Jahr auch aus taktischen Gründen hinter die Parteikollegin gestellt. Die Ampel schrieb in ihrem Koalitionsvertrag fest, dass die Grünen das nächste deutsche EU-Kommissionsmitglied vorschlagen dürfen, "sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt". 

    Die Christdemokraten hatten also die Wahl: einen Grünen im Brüsseler Hauptsitz oder Ursula von der Leyen. Ein Kritiker bringt die Stimmung einiger in CDU und CSU auf den Punkt: Die Drohung mit dem Grünen sei "das stärkste Argument, von der Leyen zu unterstützen". 

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