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Europawahl: Angriff von rechts außen: Europa-Gegner könnten über 100 Sitze holen

Europawahl

Angriff von rechts außen: Europa-Gegner könnten über 100 Sitze holen

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    Marine Le Pen führt den Front National. Umfrage zufolge könnte ihre Partei in Frankreich stärkste oder zweitstärkste Kraft werden.
    Marine Le Pen führt den Front National. Umfrage zufolge könnte ihre Partei in Frankreich stärkste oder zweitstärkste Kraft werden. Foto: Kenzo Tribouillard, AFP

    Einige ihrer Vertreter nennen ausländische Mitbürger „Ratten“. Sie alle hassen die EU und wollen doch ins Europäische Parlament einziehen: Parteien vom rechten Rand oder schlichte Euro-Gegner, denen die Union in der gegenwärtigen Verfassung bestenfalls als Feindbild reicht. „Das Wiedererstarken von rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien alarmiert mich“, sagt Parlamentspräsident Martin Schulz.

    „Mehr Nationalismus bedeutet den sicheren Abstieg Europas“, warnt auch Manfred Weber von der CSU, stellvertretender Fraktionschef der Konservativen in der europäischen Volksvertretung. Die Angst vor einer Koalition aus Rechten, EU-Gegnern oder Skeptikern wie der „Alternative für Deutschland“, die nach jüngsten Umfragen mit sechs Prozent der Stimmen rechnen kann, geht um.

    Ersten Prognosen zufolge könnten die Kritiker vom rechten Rand am Ende bis zu 110 der insgesamt 751 Sitze bekommen – derzeit sind es gerade einmal halb so viele. Allerdings sind solche Schätzungen mit Vorsicht zu genießen, da sie nicht an die Qualität klassischer Umfragen heranreichen, sondern auf Umrechnungen nationaler Wahlergebnisse beruhen.

    Dennoch: Der massive Erfolg beispielsweise des französischen Front National bei den Kommunalwahlen lässt Böses ahnen, heißt es in Brüssel.

    "Nationalisten können nicht zusammenarbeiten"

    „Nationalisten können gar nicht zusammenarbeiten, schon gar nicht vertrauensvoll und auf Dauer“, ist sich dagegen der FDP-Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff sicher. Das sei in ihrer politischen DNA geradezu ausgeschlossen. Dass diese Analyse richtig sein könnte, haben ausgerechnet zwei führende Politiker bewiesen, die sich noch vor Monaten mit großem Brimborium zur Keimzelle einer neuen rechten Fraktion ausgerufen hatten: Marine Le Pen und Geert Wilders.

    Während die Französin die öffentlichen Auftritte ihres Front National fast schon systematisch von jedem rassistischen Anflug säuberte, praktizierte Wilders genau das Gegenteil. Im Umfeld der Präsentation seines Spitzenkandidaten polemisierte er auf heftigste Weise gegen marokkanische Mitbürger, sodass sich Abgeordnete seiner „Partei für die Freiheit“ angewidert von ihrem Parteichef distanzierten.

    Am Ende brachte der niederländische Islam-Hasser nur einen bunten Haufen zusammen, der im Namen seiner Partei ins Europäische Parlament einziehen soll, darunter eine Praktikantin aus seinem Büro.

    Den gängigen Koalitionen könnte wegen der rechten Parteien eine Mehrheit fehlen

    Viel schwerer aber wog, dass sich angesichts der Tiraden des Niederländers die französische Front-National-Chefin von Wilders distanzierte. Europas Rechte war wieder gespalten. Das ist aber doch kein Trost, heißt es in Brüssel mit Hinweis auf die immer weiter erstarkenden Parteien und Gruppierungen, denen mehr an der Zersetzung der Union als an deren Reform liegt.

    Das Europaparlament: Zahlen und Fakten

    1979 fand die erste Europawahl statt. Das Parlament wird für fünf Jahre gewählt.

    Bei der Wahl 2014 werden 751Mandate für die kommende Legislaturperiode vergeben.

    Aus Deutschland werden 2014 96 Bewerber einen Sitz im EU-Parlament erhalten. Das sind so viele wie aus keinem anderen Mitgliedstaat, aber drei weniger als bisher.

    CDU und CSU errangen 2009 in Deutschland die meisten Sitze (42) vor SPD (23), den Grünen (14) sowie FDP (zwölf) und Linken (acht).

    Im EU-Vertrag von Lissabon wurde eine Höchstzahl von 96 Abgeordneten pro Land beschlossen.

    Die Wahlbeteiligung ist bei jeder Europawahl gesunken. Lag sie im Jahr 1979 noch bei 63 Prozent, gaben vor fünf Jahren nur noch 43 Prozent der Europäer ihre Stimme ab.

    Die Abgeordneten aus den 28 Mitgliedstaaten haben sich zu derzeit sieben Fraktionen zusammengeschlossen.

    Fünf, drei oder null Prozent: Bei der Europawahl in Deutschland sollte erstmals eine Drei-Prozent-Hürde gelten, die eine Partei für einen Einzug ins EU-Parlament überwinden muss. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese aber für verfassungswidrig.

    Zwei Arbeitsorte: Die Abgeordneten pendeln zwischen den 435 Kilometer voneinander entfernten Arbeitsorten Brüssel und Straßburg.

    Den "Wanderzirkus" machen monatlich rund 4000 Abgeordnete, Assistenten, Beamte, Vertreter der EU-Kommission und Dolmetschern mit. Mindestens 150 Millionen Euro an Steuergeldern würden damit jährlich verschwendet, monieren Kritiker.

    Die meiste Zeit verbringen die Abgeordneten in Brüssel, wo die Ausschüsse und die Fraktionen tagen. Bisher sind alle Vorstöße gescheitert, den Parlamentssitz nach Brüssel zu verlegen.

    Nach der Europawahl werden auch der Präsident der EU-Kommission und die anderen Kommissare neu bestimmt.

    Sollten die bisherigen Befürchtungen eintreten, ist zumindest klar, dass die gängigen Koalitionen nicht auf die notwendige Mehrheit von 376 Sitzen im Straßburger Plenum kommen werden. Als Ausweg bliebe wieder nur eine Große Koalition, unter deren Image das Parlament leiden könnte.

    Bei einer Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung zeigte die Parteienforscherin Sarah L. Lange auf, wie sich das Klima in Europa verändern könnte: So wie die Partei von Wilders den niederländischen Mainstream-Parteien indirekt eine verschärfte Migrations- und Integrationspolitik aufgezwungen hat, könnte eine erstarkte Rechte auch in Straßburg Themen und Debatten beeinflussen.

    Vor allem dann, wenn sich wenigstens 25 Parlamentarier dieser Gruppierungen zu einer Fraktion mit mehr Rederecht und mehr Geld zusammenschließen würden. Allerdings scheiterte ein solcher Versuch in der Vergangenheit gleich mehrfach.

    Hohe Wahlbeteiligung bei Europawahl als bestes Mittel gegen rechte Parteien

    Das beste Mittel gegen diese Tendenz sei  – so Martin Schulz –  eine möglichst hohe Wahlbeteiligung. Vor fünf Jahren gingen in Deutschland gerade mal 43 Prozent zur Europawahl. Verloren hatten die Parteien in der politischen Mitte. Die Extremen mobilisierten dagegen ihre Anhänger.

    Dieser Trend könnte dieses Mal sogar noch stärker werden, weil die Chance, dass auch kleine Randparteien wenigstens einen Abgeordneten nach Europa schicken dürfen, in Deutschland gewachsen ist. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes reicht schon ein Prozent der abgegebenen Stimmen, um einen Platz sicher zu haben.

    Allerdings räumen Parteienforscher ein, dass die Karten durch die politische Entwicklung um die Ukraine möglicherweise völlig neu gemischt werden könnten. Noch vor wenigen Wochen hätten Themen wie Euro oder Zuwanderung die Diskussionen beherrscht. Inzwischen aber gehe es um ein Gründungsanliegen der Union: Frieden und eine sichere Zukunft. Und da haben die Rechten wenig zu bieten.

    In diesen Ländern sind die Euro-Gegner und Rechtspopulisten besonders stark:

    Frankreich: Mit einer Distanzierung von rechtsradikalem Gedankengut hat Marine Le Pen den Front National zu einer für viele Franzosen wählbaren Partei gemacht. Offene Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus sind unter der Führung der 45-Jährigen inzwischen tabu, stattdessen wird populistisch auf Themen wie Rente mit 60, mehr Sicherheit sowie eine Abgrenzung von EU und Nato gesetzt. Bei der Europawahl könnte der FN laut Umfragen zweitstärkste oder sogar stärkste französische Partei werden.

    Niederlande: Die Partei für die „Partei der Freiheit“ des Rechtspopulisten Geert Wilders könnte nach ersten Umfragen mit 16,6 Prozent der Stimmen und fünf Sitzen als stärkste Kraft aus der Europawahl hervorgehen. Er kritisiert den freien Zuzug von Arbeitnehmern vor allem aus Osteuropa und macht sich stark für einen EU-Austritt der Niederlande. Im niederländischen Parlament ist die Wilders-Partei drittstärkste Fraktion, sie wird jedoch von den übrigen Parteien isoliert.

    Griechenland: Die rechtsextremistische und rassistische griechische Partei „Goldene Morgenröte“ ist in allen Umfragen für die Europawahl drittstärkste Kraft. Sie könnte einen oder zwei Abgeordnete der 21 Mandatsträger Griechenlands stellen. Zahlreichen Parteifunktionären, darunter auch Parteichef Nikolaos Michaloliakos, wirft die griechische Justiz vor, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Der Parteichef und fünf weitere Abgeordnete sind bereits inhaftiert. Die Partei profitiert vom Frust vieler Bürger, die die etablierten Politiker und Parteien wegen der schweren Finanzkrise abstrafen wollen. Eine Hauptforderung ist, alle Ausländer aus Nicht-EU-Staaten aus Griechenland auszuweisen. Mitglieder zeigen immer wieder den Hitlergruß.

    In Großbritannien könnten die Euroskeptiker fast 30 Prozent holen

    Großbritannien: Im Vereinigten Königreich könnte die Europawahl zu einem Triumph der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party (UKIP) um ihren Parteichef Nigel Farage werden. Demoskopen sehen die Euro-Skeptiker derzeit bei 26 Prozent. Die UKIP steht vor allem für den Austritt Großbritanniens aus der EU und für eine deutliche Begrenzung der Zuwanderung. So sollen Einwanderer in den ersten fünf Jahren keinen Anspruch auf Sozialleistungen und ihre Kinder kein Recht auf freie Bildung haben.

    Österreich: Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) rechnet fest mit einem neuerlichen Einzug ins Europaparlament. In verschiedenen Umfragen werden der Partei knapp über 20 Prozent prognostiziert, sie könnte aus der Europawahl als große Wahlgewinnerin hervorgehen. Mit Kritik an der EU und fremdenfeindlichen Tönen spricht die Partei vor allem Protestwähler an. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache positioniert sich als Kämpfer für den kleinen Mann. Auf EU-Ebene ist er mit anderen rechten Partei-Chefs gut vernetzt.

    Finnland: Hier stehen die rechtspopulistischen „Wahren Finnen“ gut da. Sie sind drittstärkste Kraft im Parlament. Sie haben sich von einer kleinen Protestpartei zu einer wichtigen Kraft entwickelt, obwohl sie regelmäßig wegen rassistischer oder sexistischer Äußerungen am Pranger stehen. (mit dpa)

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