Dass eine Deutsche vom renommierten Time Magazine zur „Person des Jahres“ ernannt wird, kommt nur äußerst selten vor. Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das 2015 mal geschafft. Und Terry Reintke. Die Grünen-Politikerin wurde 2017 ausgezeichnet als eine der „Silence Breaker“, als eine jener Frauen, die ihr Schweigen brachen. Die Europaabgeordnete hatte die Kampagne #metooEU mit initiiert und das Thema sexuelle Gewalt in den Plenarsaal des EU-Parlaments gebracht.
Damals saß die Grüne bereits drei Jahre lang im Hohen Haus Europas, mittlerweile gilt sie als „alte Häsin“. Das ist insofern bemerkenswert, weil die 36-Jährige selbst den „Generationenwechsel“ darstellt, wie die Grünen verlauten ließen nach dem Rückzug der nur fünf Jahre älteren Ska Keller vor eineinhalb Jahren. Daraufhin hatte Reintke den Co-Vorsitz der Fraktion übernommen. Nun führt sie gemeinsam mit ihrem niederländischen Parteifreund Bas Eickhout die Europa-Grünen in den Wahlkampf.
Die Grünen fürchten empfindliche Einbußen bei der Wahl
Es sind schwierige Zeiten, das wurde auch beim Parteikongress am vergangenen Wochenende in Lyon deutlich. Die Sorge vor dem Absturz ist groß. Die politische Konkurrenz macht Stimmung und die Bauern protestieren öffentlichkeitswirksam ob in Berlin, Amsterdam, Brüssel oder Paris. Ihr Ärger richtet sich insbesondere gegen die Grünen. Und so verwies Reintke bei ihrer Pressekonferenz mit Grünen-Chefin Ricarda Lang gleich zu Beginn auf die wütenden Landwirte. Die großen Demonstrationen hätten „uns nochmals Kraft gegeben, in den Europawahlkampf zu gehen“, sagte sie. Man wolle Verantwortung übernehmen, „dafür sind wir zu Kompromissen bereit“. Reintke wurde am Samstag im ersten Wahlgang mit 55 Prozent der Stimmen gewählt. Glaubt man den Umfragen, sind die Aussichten düster, auch wenn sich Reintke kämpferisch gibt und sogar zulegen möchte nach dem Traumergebnis 2019, als die Grünen 75 Sitze der 705 Mandate erreichten und davon die Deutschen allein 21 Parlamentarier stellten.
„Wenn wir jetzt aufgeben, haben wir schon verloren“, schwor sie am Samstag die mehr als 1000 Delegierten ein. Kritik wurde jedoch aus den eigenen Reihen laut wegen der geografischen Unausgewogenheit. Reintke und der Niederländer Eickhout stammen aus zwei der politischen Kernländer, gerade in den weniger starken, südlichen Mitgliedstaaten hatten sich einige für den Wahlkampf Kandidaten aus der Region erhofft. Aktuellen Prognosen zufolge könnte die Grünen-Fraktion bis zu einem Drittel ihrer Sitze verlieren. Nun soll die gut vernetzte Reintke die Herkulesaufgabe schaffen und das selbst gegebene Motto „Mut zur Veränderung“ verkörpern und verkaufen. Reintke engagiert sich für Klimapolitik, soziale Gerechtigkeit, aber auch für die Rechte der Frau und die Gleichberechtigung der Geschlechter.
Grünen-Spitzenkandidatin Terry Reintke bezeichnet sich als "Kind des Ruhrgebiets"
Aufgewachsen in Gelsenkirchen bezeichnet sich die Politikwissenschaftlerin gerne als „Kind des Ruhrgebiets“, auch wenn sie mit ihrer Lebensgefährtin, der französischen Senatorin Mélanie Vogel, mittlerweile hauptsächlich in Brüssel lebt. Sie habe gesehen, „was es mit einer Region macht, wenn die Industrie abwandert, die Schlangen vor den Arbeitsämtern länger werden, Sicherheiten im Leben der Menschen verloren gehen und die Lebensleistung ganzer Generationen infrage zu stehen scheint“, wie sie auf ihrer Webseite schreibt. In der Tradition steht die dem linken Lager angehörende Politikerin für das aktuelle Wahlprogramm, das nicht nur weiter den Klimawandel für Europa antreibt, sondern betont, dass die Gesetze sozialverträglich ausfallen müssen. Und so heißt es denn auch im 55 Seiten umfassenden Manifesto: „Um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern, braucht Europa einen grünen und sozialen Deal.“