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Europapolitik: Großer Gipfel im kleinen Moldau als Zeichen an Russland

Europapolitik

Großer Gipfel im kleinen Moldau als Zeichen an Russland

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    "Familienfoto" vom Europa-Gipfel in Moldau. Wolodymyr Selenskyj (unten Mitte) zusammen mit Olaf Scholz (oben Mitte).
    "Familienfoto" vom Europa-Gipfel in Moldau. Wolodymyr Selenskyj (unten Mitte) zusammen mit Olaf Scholz (oben Mitte). Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Bundeskanzler Olaf Scholz hat beim Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) der Ukraine Sicherheitsgarantien in Aussicht gestellt. Beim Treffen von 47 europäischen Staats- und Regierungschefs nahe der moldauischen Hauptstadt Chisinau sagte der SPD-Politiker: „Wir haben immer gesagt, dass es auch für eine Friedensordnung nach dem Krieg Garantien geben müsse. Dazu wird Deutschland einen Beitrag leisten.“ Wie der französische Präsident Emmanuel Macron betonte Scholz, Europa sei sich „einig in seiner Unterstützung der

    Aus Sicherheitsgründen war die Teilnahme des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bis zuletzt nicht bestätigt worden. Doch der traf schließlich gleich als erster Gast ein und forderte von den europäischen Amtskollegen weitere Waffenhilfe im Kampf gegen die russischen Angreifer. Mit Blick auf den am 11. Juni in Litauen beginnenden Nato-Gipfel warb er zudem um eine schnelle Aufnahme in das westliche Verteidigungsbündnis. „Die Ukraine ist bereit für die Nato“, sagte er. Wie die moldauische Staatschefin Maia Sandu drängte Selenskyj auf eine rasche Aufnahme in die Europäische Union. Moldau und die Ukraine streben bis Ende des Jahrzehnts eine Vollmitgliedschaft an.

    Moldau: Einwohner fürchten Opfer russischer Aggression zu werden

    Das Treffen mit den vielen ernsten Themen fand in pittoresker Atmosphäre statt: Rund um das im französischen Stil gebaute Schloss Mimi, nur rund 20 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, gedeihen die Reben prächtig, was kaum wundert, bei 300 Sonnentagen im Jahr. Auch am Donnerstag war es heiß, doch ausnahmsweise stand einmal nicht der Wein im Mittelpunkt, sondern die Spitzen von 47 europäischen Staaten. Sie trafen sich, weil über dem sonnigen Moldau politisch dunkle Wolken aufgezogen sind. Viele der rund 2,6 Millionen Einwohner fürchten, dass ihr Land nach dem Nachbarn Ukraine nächstes Opfer russischer Aggression werden könnte. Auf dem Gipfel, dem größten Ereignis in der Geschichte des kleinen, erst seit 1991 unabhängigen Landes geht es deshalb vor allem um eine klare Botschaft an Moskau: Hände weg von Moldau.

    Das Format ist noch neu. Entstanden ist die EPG auf Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Nach der Premiere im vergangenen Oktober in Prag dient auch die zweite Auflage dem Ziel, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten der Europäischen Union und den übrigen Staaten des Kontinents verbessern. Auch jene Staaten sind dabei, die keine Mitgliedschaft in der EU anstreben, etwa die Schweiz, oder ihr den Rücken gekehrt haben – einziges Beispiel ist Großbritannien. Der eben erst wiedergewählte türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schickte einen Vertreter. Nicht geladen sind lediglich Russland und dessen Vasallenstaat Belarus.

    Moldau ist ein EU-Beitrittskandidat

    Moldau, eines der ärmsten Länder Europas, umschlossen von Rumänien und der Ukraine, steht voll im Visier russischer Machtinteressen. Die politische Lage ähnelt in vielen Punkten der Situation der Ukraine. Im Osten des Landes befindet sich die abtrünnige Region Transnistrien, in der schon seit den 1990er-Jahren Soldaten der russischen Armee stationiert sind, die dort ein gewaltiges Munitions- und Waffenlager unterhält. Im Rest der ehemaligen Sowjetrepublik versucht das Putin-Regime über den ihm treu ergebenen Oligarchen Ilan Sor, seinen schwindenden Einfluss wieder auszubauen. Die Kreml-Propaganda schürt in der Bevölkerung Unruhe und Widerstand gegen die europafreundliche Präsidentin Maia Sandu, etwa durch Proteste bezahlter Demonstranten.

    Das ist die Gipfel-Kulisse in Moldau

    Der Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft findet auf Schloss Mimi statt. In dem Anwesen nahe der Hauptstadt Chisinau spiegelt sich die wechselvolle Geschichte von Moldau, auch als Moldawien bekannt, wider.

    Der Staatsmann und leidenschaftliche Winzer Constantin Mimi hat es im 19. Jahrhundert in seiner Heimat, der damaligen Provinz Bessarabien des russischen Zarenreichs, nach Vorbildern aus Frankreich bauen lassen. Er hatte zuvor in Montpellier die Kunst des Weinbaus erlernt.

    Zu Sowjetzeiten enteignet, wurde das Gut nach der Unabhängigkeit Moldaus in den 1990er-Jahren wieder privatisiert, lieferte zunächst den weit überwiegenden Teil seiner Weine nach Russland.

    Doch ein Boykott durch Moskau und unbezahlte Rechnungen russischer Abnehmer brachten die Winzerfamilie in existenzielle Nöte.

    Die heutige Chefin, eine Mittdreißigerin, setzte konsequent auf eine Steigerung der Qualität und den Absatz in Europa – eine Strategie, die aufzugehen scheint.

    Im Kampf um Macht und Einfluss hat Russland in jüngster Zeit gnadenlos die wirtschaftliche Abhängigkeit Moldaus ausgenutzt. Auf der einen Seite stoppte Moskau die Einfuhr von Wein, dem wichtigsten moldauischen Exportgut, und drehte auf der anderen dann auch noch den Gashahn zu. Moldaus Energiepreise explodierten, sorgten für eine Inflation von rund 30 Prozent und den großen Unmut vieler Menschen. Die russische Propaganda, wonach eine engere Bindung zu Moskau Sicherheit bringen würde, fällt da auf fruchtbaren Boden. Gegenhalten kann die pro-europäische Regierung nur mit einer klaren Perspektive für eine Aufnahme in die EU, die mit der Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung verbunden ist. Moldau ist wie die Ukraine Beitrittskandidat, doch es gibt noch eine ganze Reihe von Hürden auszuräumen – die größte ist der ungelöste Transnistrien-Konflikt. Dass der Gipfel in Moldau ausgetragen wird, gilt als wichtiges Signal der Bindung zu Europa, doch die Geduld ist wie bei anderen Beitrittskandidaten begrenzt. 

    Große Abstimmungen oder Beschlüsse mit konkreten Auswirkungen wurden bei dem Treffen nicht erwartet. Doch am Rande bot sich die Gelegenheit zu zahlreichen Gesprächen im kleineren Kreis. Scholz und Macron etwa bemühten sich intensiv um Vermittlung zwischen den Konfliktparteien Armenien und Aserbaidschan im Kaukasus sowie Serbien und dem Kosovo, wo es zuletzt Unruhen und Zusammenstöße zwischen Kosovaren und Angehörigen der serbischen Minderheit gab. Bei den Gesprächen hinter verschlossenen Türen sollen klare Worte gefallen sein. Werde der Konflikt nicht beigelegt, schade das der EU-Beitrittsperspektive der beiden Staaten vom Westbalkan massiv, so der Tenor. Einen weiteren Brandherd kann sich Europa in diesen Zeiten nicht leisten.

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