Es war ein großes Versprechen, das der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte Mitte vergangenen Jahres in Brüssel abgab. Sein Land werde „keinen einzigen Euro aus dem europäischen Aufbaufonds vergeuden“, sagte der parteilose Chef einer Regierungskoalition von linker Fünf-Sterne-Bewegung und sozialdemokratischer Partito Democratico. Immerhin geht es für Italien um 209 Milliarden Euro: 85 Milliarden werden dem Land geschenkt, 124 Milliarden Euro fließen als zinsgünstige Darlehen. Und das für ein Land, das in den vergangenen Jahren immer wieder mit wenig effizienter Mittelnutzung von sich reden machte.
Verteilung der EU-Hilfen: Matteo Renzi droht offen mit Bruch des Regierungsbündnisses
Sportplätze mit Gespenstertribünen, neue Autobahnen, die im Nichts enden, sowie Gelder für Betriebe, die dazu gar nicht berechtigt waren, sind nur drei Beispiele. Deshalb wachsen die Zweifel, ob die Mittel tatsächlich so eingesetzt werden, wie sich Contes EU-Amtskollegen das vorgestellt haben: zur Beseitigung der ökonomischen Schäden infolge der Pandemie und für den Green Deal. „Unser Plan wird den europäischen Richtlinien folgen“, versprach der Europaminister der römischen Koalition, Vincenzo Amendola, am Wochenende in einem Interview mit der Welt. Er sagte sogar zu, die Anti-Korruptionsbehörde ANAC bei Ausschreibungs- und Vergabeverfahren einzuschalten, um zu verhindern, dass am Ende die Brüsseler Milliarden in Projekten der Mafia versickern.
Doch für Ruhe auf den Brüsseler Fluren sorgten seine Äußerungen nicht. Die EU-Kommission zog sich zuvor auf eine offizielle Anfrage hin noch aus der Affäre und antwortete ausweichend mit dem Hinweis, man kommentiere „keine inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaats“. Und auch von Verzögerungen bei der Benennung der Projekte wollte die Behörde nichts wissen. Dabei ist Conte selbst in Rom längst zwischen alle Fronten geraten.
Vor allem der frühere Premierminister Matteo Renzi drohte bereits offen mit einem Bruch des Regierungsbündnisses, sollten die EU-Hilfen nicht richtig verteilt werden. Tatsächlich haben in den vergangenen Monaten alle möglichen Gremien sowie eine eigens eingesetzte Taskforce getagt und eine Wunschliste potenzieller Projekte aufgestellt. Deren Kosten beliefen sich am Ende auf über 700 Milliarden Euro. Amendola nannte nun die Digitalisierung der Verwaltung als vorrangiges Ziel, um dann Projekte wie die Beteiligung an Konsortien zur Förderung des Wasserstoffes als Energiequelle und die EU-Datencloud „Gaia X“ zügig anzuschieben. Weitere Wünsche betreffen eine gezielte Unterstützung für die Regionen sowie die Infrastruktur. Die EU-Kommission berät die Mitgliedstaaten, auch Italien. Spätestens im zweiten Quartal, so teilte die Behörde mit, müsse ein Plan stehen. Denn gefördert werden nur solche Vorhaben, die in Brüssel als zuschussfähig eingeordnet werden.
Das EU-Parlament steht vor einer heiklen Kontrollaufgabe
Davon scheint Italien weit entfernt. Dabei gehen EU-Vertreter davon aus, dass der Aufbaufonds und der neue Haushalt so etwas wie eine letzte große Chance sind für das von der Pandemie besonders getroffene Land, das horrend verschuldet ist. Italien steht bei den internationalen Geldgebern mit 2,3 Billionen Euro in der Kreide, zusammen mit dem nun gewährten Kreditanteil dürfte der öffentliche Schuldenstand bald die 160-Prozent-Marke erreichen. „Negativrekordhalter“ Griechenland ist nicht weit weg.
Dennoch hält die Regierung in Rom an ihrem Plan fest, „den Trend in zwei Jahren umzukehren“ (Amendola) und das Defizit schrittweise zurückzuführen. So weit, so gut – wären da nur nicht die Diskussionen, die von italienischen Politikern immer wieder losgetreten werden. Es geht um einen Schuldenschnitt. Im Herbst war es der italienische Präsident des EU-Parlamentes, David Sassoli, der zwar etwas verklausuliert, aber doch erkennbar einen Schuldennachlass als „interessante Arbeitshypothese“ bezeichnet und damit wochenlangen Streit ausgelöst hatte: Neben Deutschland lehnten auch die Niederlande, Österreich sowie weitere Staaten schon den Gedanken strikt ab.
Die Kontroverse befeuerte die tief sitzenden Befürchtungen, die schon beim EU-Gipfel Mitte 2020 grassierten: Die Skepsis gegenüber Italien war so groß, dass die Regierungschefs der Niederlande, Schwedens, Dänemarks, Finnlands und Österreichs dem Aufbaufonds nur zustimmten, nachdem sich alle auf strikte Vergabekriterien geeinigt hatten. Italien müsse unter Beobachtung bleiben, so die Forderung. Das EU-Parlament scheint fest entschlossen, diese Aufgabe nicht aus den Augen zu verlieren.
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