Präsident Wolodymyr Selenskyj macht Druck: Schon im Sommer will er Klarheit darüber, dass die Ukraine in die Europäische Union aufgenommen wird. Rund 1000 Seiten Dokumente als Antwort auf den berühmten Fragebogen zur EU-Mitgliedschaft hat er in dieser Woche an Brüssel übergeben. Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte oder einer funktionsfähigen Marktwirtschaft – all das sind Forderungen, die gestellt werden. Der Ball liegt in Brüssel, wo man bemüht ist, den Prozess voranzutreiben.
„Die Kommission beabsichtigt, ihre Stellungnahme im Juni abzugeben“, hieß es von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Im Anschluss an die Einschätzung der Brüsseler Behörde, die den komplexen Beitrittsprozess überwachen müsste, können die 27 EU-Länder darüber abstimmen, der Ukraine den offiziellen Kandidatenstatus zu verleihen. Dabei herrscht das Prinzip der Einstimmigkeit. Und da liegt das Problem für die Ukraine: Einige baltische und osteuropäische Länder zeigen sich offen für die Idee oder fordern wie Polen gar, dass die Ukraine möglichst rasch einen EU-Kandidatenstatus erhält.
Andere Mitgliedstaaten lehnen eine Sonderprozedur ab, darunter auch Deutschland. Es würden für alle Beitrittsverhandlungen dieselben Standards und Anforderungen gelten, sagte Kanzler Olaf Scholz zur Frage, ob man die Aufnahmemodalitäten abkürzen sollte. Seiner Ansicht nach müssen die EU-Verhandlungen mit den Westbalkanstaaten Priorität haben. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonte, dass das Verfahren „Jahrzehnte“ dauern könnte.
Ein EU-Beitritt ist ein kompliziertes Verfahren
Wer Teil der Staatengemeinschaft sein möchte, muss die sogenannten Kopenhagener Kriterien einhalten. Tatsächlich handelt es sich um ein kompliziertes Verfahren, das bei der Ukraine besonders viel Zeit in Anspruch nehmen könnte. Denn selbst wenn derzeit kein Krieg toben würde, wäre das Land laut Experten aufgrund von Korruption und teils mafiösen Strukturen nicht auf die EU vorbereitet.
Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, fordert von den EU-Staaten dennoch mehr Unterstützung für den Wunsch aus Kiew. „Die Ukrainer verteidigen ihr Land und Europas Werte“, sagt Weber gegenüber unserer Redaktion. „Wenn Präsident Selenskyj um ein klares Signal für einen EU-Beitritt seines Landes bittet, dann muss von den EU-Staaten die Antwort sein: Ja, ihr seid willkommen.“ Wenngleich ein EU-Beitritt nicht über Nacht funktioniere, „braucht die Ukraine doch eine beschleunigte und echte Beitrittsperspektive, keine Verzögerungstaktik“.
Die wird Brüssel von Kritikern immer wieder vorgeworfen im Hinblick auf die Westbalkanstaaten, die mit mehr oder weniger festen Aussichten schon lange auf der Liste der EU-Beitrittskandidaten stehen: Montenegro, Serbien, Albanien, Nordmazedonien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina. Die Stimmung ist schlecht angesichts der Minischritte in den letzten Jahren. Nordmazedonien etwa wechselte sogar seinen Landesnamen – eine emotional belastende Herausforderung. Trotzdem glaubt CSU-Mann Weber: „Es braucht Mut und keine vorgeschobenen Diskussionen wegen nationaler Probleme in einzelnen Mitgliedstaaten.“
In der CSU gibt es Streit über einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine
Widerspruch erhält der EU-Parlamentarier aus der eigenen Partei. „Wenn die Ukraine einen EU-Kandidatenstatus wünscht, hat das unsere Unterstützung, eine kurzfristige EU-Mitgliedschaft ist aber nicht absehbar“, sagt der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. „Bei einem Beitrittsverfahren reden wir über Prozesse, die Jahre oder gar Jahrzehnte dauern können und ein offenes Ergebnis haben.“ Oftmals seien grundlegende Strukturveränderungen in einem Land erforderlich.
Und dann ist da noch Moskau. „Es ist äußerst zweifelhaft, dass dieser Wunsch Kiews harmlos ist“, sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Die EU habe „sich aus einer konstruktiven Wirtschaftsplattform, als die sie gegründet wurde, in einen aggressiven militanten Akteur verwandelt“.