Vom Dexit ist zwar keine Rede mehr. Doch der Ton im Leitantrag für das EU-Wahlprogramm der AfD klingt dennoch harsch – und unmissverständlich: "Unsere Geduld mit der EU ist erschöpft", heißt es da. "Wir streben daher die geordnete Auflösung der EU an." Stattdessen wollen die deutschen Rechtspopulisten eine neue europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft gründen, "einen Bund europäischer Nationen".
So steht es zumindest im Entwurf, mit dem der AfD-Bundesparteitag am Freitag in Magdeburg startet. Während große Teile der Partei in den letzten Tagen bereits abgerückt ist, betonte auch der AfD-Europaabgeordnete Joachim Kuhs gegenüber unserer Redaktion, dass die Formulierung der Auflösung "da reingerutscht" sei. "Das wird so am Ende nicht drinstehen", zeigte er sich überzeugt und verwies auf einen entsprechenden Änderungsantrag. Er plädierte für eine differenzierte Betrachtungsweise: "Behaltet das Gute, schafft das Schlechte ab."
Auf die EU einzuschlagen, könnte die falsche Taktik sein
Die Frage blieb offen, ob seine Kollegen das ähnlich sehen, viele von ihnen halten die EU für nicht reformierbar und wollen am liebsten raus. Fabian Zuleeg, Direktor des European Policy Centre (EPC) in Brüssel, hält das jüngste Zurückrudern denn auch nicht für eine grundsätzliche Änderung der Meinung in Sachen EU. "Sicherlich hat es in der AfD eine Entscheidung gegeben, dass es taktisch nicht besonders klug ist, auf Europa einzuschlagen." Denn während Kuhs sich für den Binnenmarkt ausspricht und vorneweg den Zentralismus der Union kritisiert, sieht das Programm auch abseits der Auflösungforderung teils radikale Pläne für die Staatengemeinschaft vor. Nur, damit stehen die deutschen Rechten auf EU-Ebene ziemlich alleine da.
"Die AfD spielt innerhalb der europäischen Parteien im weiteren rechten Spektrum eine geringe Rolle", sagt Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und verweist auf die unterschiedliche Entwicklung. "Während die meisten Rechtsaußen- und nationalkonservativen Parteien versuchen, sich in Europa moderater zu geben, zum Beispiel was die Mitgliedschaft in der EU angeht, um Regierungsverantwortung zu bekommen, hat sich die AfD in der Frage eher radikalisiert."
Grexit, Frexit, Itexit, Nexit, Polexit – während die Rechtsextremen Europas noch vor einigen Jahren gerne mit der Idee eines Austritts ihres Landes aus der Gemeinschaft flirteten, sind solche Forderungen mittlerweile verstummt. Marine Le Pen, die französische Fraktionschefin des rechtsextremen Rassemblement National (RN), ist etwa deutlich radikaler in die Politik gestartet, versucht aber seit einigen Jahren, durch einen weicheren Kurs größere Wählergruppen anzusprechen.
Als Vorbild dürfte auch Giorgia Meloni dienen. Die italienische Ministerpräsidentin von den rechtsextremen Fratelli d'Italia wird mittlerweile in Brüssel von einigen als konstruktive Partnerin gelobt. Die Partei gehört der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im EU-Parlament an, zu der auch die polnische PiS zählt. Die AfD wie auch die österreichische FPÖ, die italienische Lega und der französische RN sind in Brüssel Teil der Fraktion Identität und Demokratie (ID). Doch "während die EKR zunehmend versucht, aktiv europäische Politik mitzugestalten", wie von Ondarza sagt, sei das EU-Parlament für ID-Mitglieder wie die AfD "letztlich eher ein Ort, wo sie Fundamentalopposition betreiben". Ob die Fratelli d’Italia, die rechten Schwedendemokraten oder die Partei Die Finnen – die Parteien, die in Regierungsverantwortung sind, nehmen eine andere Rolle in Brüssel ein.
Die AfD gilt in Brüssel als isoliert
Stichwort Brandmauer. Daniel Freund nimmt die AfD ebenfalls als isoliert in Brüssel wahr. "In allen Dossiers, die ich in den letzten vier Jahren bearbeitet habe, findet die AfD nicht statt", sagt der Grünen-Europaabgeordnete. Sie kämen nicht zu Treffen und säßen selten in Ausschüssen. "Sie halten im Plenum ihre Reden, die sie dann in den sozialen Medien nutzen", so Freund. Den Diskurs aber würden die AfD-Politiker nicht "in einer wirklichen Art und Weise" beeinflussen.
Politologe Zuleeg weist jedoch darauf hin, dass Zugewinne, wie sie bei der Europawahl im Juni 2024 erwartet werden, nicht nur dazu führen, dass die Rechtspopulisten größere Fraktionen bilden können. "Es geht auch darum, welchen Einfluss diese Parteien auf die anderen, pro-europäischen Parteien haben", sagt Zuleeg und verweist als Beispiel auf den CSU-EU-Abgeordneten Manfred Weber. Der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) steht bei Sozialdemokraten, Linken und Grünen unter anderem für seine jüngsten Kulturkämpfe gegen die Klimapolitik in der Kritik wie auch für seine Annäherung an Meloni.