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Europäische Union: Warum Deutschland zum Buhmann in der EU geworden ist

Europäische Union

Warum Deutschland zum Buhmann in der EU geworden ist

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    Gequälte Freude: Olaf Scholz beim Gipfelfoto.
    Gequälte Freude: Olaf Scholz beim Gipfelfoto. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Zu den Ritualen selbst von informellen EU-Gipfeln gehört es, alle Teilnehmer für ein Erinnerungsbild zu versammeln. Die sogenannten Familienfotos sind in der Regel fein nach Protokoll choreografiert. Vor diesem Hintergrund sorgte der Schnappschuss des Zusammentreffens der europäischen Staats- und Regierungschefs am Freitag in Prag für gewisses Erstaunen. Nicht nur glich er einem Wimmelbild. Vor allem die Position des deutschen Bundeskanzlers – er stand abgeschlagen in der letzten Reihe – passte zur Stimmung im Kreis der 27 Partner.

    Deutschland, der Buhmann Europas? Berlin wurde von zahlreichen Mitgliedstaaten scharf kritisiert für seinen bis zu 200 Milliarden schweren „Doppelwumms“, der mittlerweile nicht mehr so genannt werden soll und deshalb vom Titel Abwehrschirm abgelöst wurde. Damit will Scholz Energie für Haushalte und Unternehmen in Deutschland günstiger machen. Handelte es sich bei dem Alleingang erneut um einen Ausdruck von Doppelmoral des größten und wirtschaftsstärksten EU-Landes, wie seit Tagen Vertreter anderer Staaten schimpfen?

    Die EU-Partner warnen vor einer Zerstörung des Binnenmarkts

    Sie verweisen darauf, dass nicht alle Regierungen die finanziellen Mittel für ein solches Paket hätten und daher im Wettbewerb benachteiligt seien. Und wovon auch die Partner betroffen wären. So warnte die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas vor einer Kettenreaktion und steigenden Gaspreisen, wenn die großen Länder ein Paket nach dem anderen auflegten. „Wir müssen eine gemeinsame Lösung finden.“

    Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sprach gestern von einer „Zerstörung des EU-Binnenmarkts“. Seine Botschaft an die Deutschen lautete: „Seid gemeinschaftlich, solidarisch mit allen anderen.“ In schwierigen Zeiten müssten sich alle auf einen gemeinsamen Nenner einigen und nicht auf den Nenner, der nur für ein Land passend sei. Doch anders als sonst haben sich auch größere Staaten wie Frankreich oder Italien auf die Seite jener gestellt, die Berlin Egoismus vorwerfen.

    Olaf Scholz verteidigt den "Doppelwumms"

    Konkret wünscht die Mehrheit der Union einen Preisdeckel für Gasimporte. Den aber lehnen sowohl die Niederlande als auch Deutschland ab. Das führt dementsprechend zu noch mehr Ärger. In der Bundesregierung hält man die Debatte für eigenartig mit dem Verweis, dass andere Länder wie Italien und Frankreich seit Monaten Bürger und Unternehmen mit massiven Eingriffen in den Energiemarkt unterstützen. Außerdem seien die Maßnahmen gemessen an der Laufzeit bis 2024 sowie der Größe der deutschen Volkswirtschaft in der Proportion angebracht, wie es hieß.

    Derweil interpretierte Österreichs Kanzler Karl Nehammer das Paket Deutschlands als „Weckruf an die Europäische Kommission“. Deren Präsidentin Ursula von der Leyen sagte gestern, es sei wichtig, dass alle Firmen die gleichen Chancen hätten, am Binnenmarkt teilzunehmen. „Unternehmen können im Wettbewerb bestehen durch Qualität, nicht durch Subventionen.“ Konkrete Beschlüsse gab es am Freitag nicht, die sollen erst in den kommenden zwei Wochen ausgehandelt werden.

    Ausgerechnet Ungarn gibt sich als Wahrer der EU

    Schon vor der Prager Zusammenkunft hatte Italiens scheidender Ministerpräsident Mario Draghi gemeint, das deutsche Paket untergrabe die Einheit. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán holte dann wie gewohnt noch weiter aus und bezeichnete das Programm der Deutschen als „Beginn des Kannibalismus in der EU“. Die Maßnahmen seien ein Verstoß gegen die Beihilfevorschriften, da sie deutschen Unternehmen „mit Hunderten von Milliarden Euro“ auf Kosten von Konkurrenten in anderen Ländern helfen.

    Solche Worte, ausgerechnet vom Chef-Störer der Gemeinschaft. Nur hat er dieses Mal ausnahmsweise den Großteil der Union auf seiner Seite. Es zeigt, wie einsam es in der Energiefrage um Olaf Scholz geworden ist.

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