Der Brief an die „lieben Kolleginnen und Kollegen“ hat es in sich. Markus Pieper, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Europaabgeordneten, schickte das Schreiben vor wenigen Tagen an seine Fraktion. Inhalt: Der wissenschaftliche Dienst des EU-Parlamentes untersucht routinemäßig alle Rechtsakte, die die Kommission erlässt und schätzt die Folgen für Bürger und Wirtschaft ab. Ergebnis: Von 132 EU-Regelungen, die zwischen Juli 2015 und Dezember 2018 erlassen wurden, waren 29 Prozent der Gesetze entweder fehlerhaft oder kamen zu falschen Schlüssen – oder beides. Piepers Fazit: „Wir Parlamentarier müssen sehr viel kritischer mit den Legislativvorschlägen der EU-Kommission umgehen.“ Arbeitet der europäische Gesetzgeber schlampig?
Die Ausarbeitung wichtiger Vorschriften ist oft mangelhaft
Tatsächlich wurden die Zahlen und das „enttäuschende Ergebnis“, wie es Pieper nennt, von der Chefin des Ausschusses für Regulierungskontrolle der Kommission, Alexia Maniaki-Griva, gegenüber dem Abgeordneten bestätigt. Und es geht keineswegs um Kleinigkeiten: Bei der Prüfung fielen immerhin so wichtige Vorschriften wie der Aktionsplan zur Bildung einer Kapitalmarktunion, die Regelung über den Import kultureller Güter oder der Vorschlag für ein Cybersecurity-Kompetenz-Zentrum durch. Dabei hatten die EU-Behörden vor acht Jahren, als der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der 2007 als Beauftragter für Entbürokratisierung seinen Abschlussbericht vorlegte und eine effizientere Gesetzgebung empfahl, versprochen, mit einer systematischen Folgenabschätzung unnötigen oder wirkungslosen Vorschriften einen Riegel vorzuschieben.
Seither soll, so die Selbstdarstellung des Ausschusses, jede europäische Regelung zunächst auf ihre Wirksamkeit geprüft werden – manche nach Inkrafttreten, andere aber auch schon vorher. Schließlich begründet die oberste EU-Behörde ihre Vorschläge immer wieder mit Prognosen über Zuwächse an Arbeitsplätzen oder Umsätzen. Im Jahresbericht 2019 kommt der Ausschuss selbst zu dem Ergebnis, dass diese Angaben „manchmal auf einer dürftigen Datenbasis“ vorgenommen würden und man die notwendigen Informationen nicht bestätigen könne.
Es fehlt an einer effektiven Folgenabschätzung
Dabei ist eine Folgenabschätzung tatsächlich wichtig. Im Parlament will man schon wissen, welche Auswirkungen neue Vorschriften zur Energieeffizienz bei öffentlichen Gebäuden haben: Um wie viel Prozent steigen die Mieten an, wenn Bauten in einem bestimmten Ausmaß klimaschonend saniert werden?
Hinzu kommt ein anderer Verdacht: Denn trotz Zusagen, alle Gesetze auf ihre Auswirkungen hin zu prüfen, geschieht dies offensichtlich gar nicht. Für das von der EU kurz vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie verabschiedete Klimagesetz gibt es laut Pieper bislang noch keine Untersuchungen darüber, ob die vorgeschlagenen Einzelschritte effizient und tatsächlich ein Beitrag zur Klimaneutralität sind. Der Abgeordnete Pieper steht nicht allein mit dem Verdacht, es könne durchaus auch politische Gründe dafür geben, warum ein Rechtsakt auf seine Folgen hin untersucht wird, ein anderer aber nicht.
Nun soll sichergestellt werden, dass die federführenden Ausschüsse des Parlamentes für alle Themen in ihrer Zuständigkeit die Ergebnisse der Überprüfungen erhalten. Pieper selbst ginge am liebsten noch weiter und würde nach dem Vorbild Deutschlands einen Normenkontrollrat installieren – „als wirksames Korrektiv für möglicherweise politisch motivierte Folgenabschätzungen“. Und sicher auch, um die Qualität der EU-Gesetze deutlich zu verbessern.
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