Die Geschichte von politischem Erfolg oder Misserfolg lässt sich nicht allein in Zahlen erzählen, nicht einmal mit der Zahl 32. Das weiß Manfred Weber natürlich. Der Partei- und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) versuchte es am Mittwoch trotzdem. 32 Klimaschutzgesetze, so sagte der CSU-Politiker, habe das Europäische Parlament im Rahmen des Grünen Deals mit einer breiten Allianz aus Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken bereits verabschiedet. Nur, und hier liegt das Problem, reden dieser Tage alle lediglich von einem einzigen: dem zur Wiederherstellung der Natur. Und hier scherte Webers EVP aus.
Streit um Klimaschutzgesetz: Manfred Weber will keine Niederlage erkennen
Doch Weber scheiterte mit seinem Aufstand. Weber hatte es nicht geschafft, seine Fraktion hinter sich und der Strategie der Fundamentalopposition zu versammeln. Die Grünen, Sozialdemokraten und Linken überschlugen sich fast in ihren verbalen Attacken gegen den Niederbayer. Von "Chaos-Kurs", einem "Dämpfer für Manfred Weber" oder einer "krachenden Schlappe" war die Rede.
Das sah der 51-Jährige naturgemäß anders. Man sei "ziemlich nah gekommen an das Ergebnis, das wir uns gewünscht haben", sagte Weber auf einer Pressekonferenz in Straßburg und sprach von einem "sinnvollen Ergebnis". Niederlage? Welche Niederlage? Zwar schafften es die Christdemokraten durch Anträge, das Gesetz deutlich zu verändern, politische Gegner sprachen von "verwässern", doch ihr Ziel erreichten sie eben nicht.
Europäische Volkspartei streitet um Naturschutz kontra Landwirtschaft
Dabei hatte der EVP-Chef seit Monaten Stimmung gegen das Gesetz gemacht, weil es, so die offizielle EVP-Erzählweise, Europas Bauern zu sehr belastet und den Landwirten einseitig Kosten aufbürdet. Aber zu viele Konservative folgten unter anderem dem Rat mehrerer tausend Wissenschaftler, die für das Gesetz warben. Sie wichen beim Votum von der vorgegebenen Linie ab, laut der die Verordnung von der Kommission so schlecht sei, dass Verbesserungen nichts bringen und diese stattdessen in den Mülleimer gehöre.
Anders als während der Schlammschlacht im EU-Parlament lief es in der nach dem Votum stattfindenden Sitzung der EVP-Fraktion ab. Da, so hörte man später, hätte niemand widersprochen, als das Ergebnis als großer Sieg verkauft wurde. Hinter den Kulissen äußerten im Anschluss dennoch ein paar Konservative ihren Groll. "Wer zur Attacke bläst, muss am Ende auch gewinnen", sagte etwa einer, der bei dem Meeting anwesend war. Das Gegrummel mag zunehmen, bislang scheint aber – noch – kaum jemand die Autorität Webers und seinen Bremskurs infrage zu stellen.
Ursula Von der Leyen soll über CSU-Mann Manfred Weber verärgert sein
Aufgeschreckt von den Ergebnissen der Provinzwahlen in den Niederlanden, bei denen die rechtspopulistische Bauer-Bürger-Bewegung BBB von der Wut der Landwirte profitierte, und mit Blick auf die Europa-Wahlen 2024 verfolgen die Christdemokraten seit kurzem die Linie, das Naturschutzpaket der EU-Kommission zu bekämpfen. Damit untergräbt die EVP auch ihre Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Tatsächlich richtet sich der Frust vieler Europaparlamentarier, vor allem aus Deutschland, dieser Tage auf die CDU-Politikerin. Auf offener Bühne haben sie sich als Lieblingsfeind zwar Frans Timmermans, Vizepräsident der Brüsseler Behörde, ausgesucht. An der Spitze der Kommission steht aber von der Leyen, die zur EVP gehört und voraussichtlich 2024 als deren Spitzenkandidatin antreten wird. Dementsprechend wird Webers Blockadepolitik als Provokation der Parteifreundin verstanden. Das Renaturierungsgesetz gilt als Säule des Grünen Deals und zählt zu von der Leyens wichtigsten umweltpolitischen Vorhaben. Sie soll verärgert über den Widerstand sein, auch wenn sie seit Wochen zum Thema schweigt.