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Europäische Union: EU-Sondergipfel: Europa ringt um Einigkeit

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EU-Sondergipfel: Europa ringt um Einigkeit

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    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfängt Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, am Schloss in Versailles.
    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfängt Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, am Schloss in Versailles. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Europa wollte Geschlossenheit sowie Macht demonstrieren – und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hätte als Veranstalter kaum einen symbolträchtigeren Tagungsort als Versailles wählen können, um die Botschaft in Richtung Kreml zu senden. Vor all der Pracht, dem Prunk und Protz des Schlosses nahe Paris kamen am Donnerstag die 27 EU-Regierungschefs zum informellen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine.

    „Europa muss sich auf alle Szenarien einstellen", sagte der Franzose vor dem Start der Gespräche. Er sei „besorgt und pessimistisch“, man werde aber in den kommenden Stunden erneut mit Wladimir Putin sprechen. In Versailles wird freilich nicht zum ersten Mal über Krieg und Frieden verhandelt.

    Versailles soll Einigkeit der EU-Staaten seit Russlands Invasion in der Ukraine symbolisieren

    Hier wurde etwa 1919 nach dem Ersten Weltkrieg der Friedensvertrag unterzeichnet. Nun wehten vor und über dem Palast die europäischen Flaggen. Man wollte die Einigkeit unterstreichen, die die Europäer seit der russischen Invasion gezeigt haben, ob es um Sanktionspakete gegen Russland, Waffenlieferungen an die Ukraine oder Flüchtlingshilfe in der Staatengemeinschaft ging. Dabei beginnt die Harmonie hinter den Kulissen zu bröckeln – bei Themen wie einem möglichen Einfuhrstopp russischer Energie oder dem Beitrittswunsch der Ukraine.

    Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass vor fast genau fünf Jahren der frisch gekürte Macron den Russen Putin unter den Versailler Vergoldungen zum Staatsbesuch empfangen hat. Roter Teppich, Zeremonie der republikanischen Garde – im Zentrum der Diplomatie wollte der Franzose die Beziehungen zwischen Paris und Moskau verbessern. Die Vergangenheit ist bekanntlich eine andere Welt, auch wenn sie 2017 vor allem nach außen anders erschien als sie sich in der Realität darstellte. Auch damals ging es um die Ukraine. Trotzdem hätte kaum jemand erwartet, dass die Staatenlenker im März 2022 zu folgendem Schluss kommen würden: „Russlands Aggressionskrieg stellt eine tektonische Veränderung in der europäischen Geschichte dar“, wie es im Entwurf der gemeinsamen Gipfelerklärung heißt.

    Wie kann Europa vom russischem Gas, Öl und Kohle unabhängig werden?

    Bei dem Treffen debattierten die Politiker auch über die Frage, wie sich die EU so schnell wie möglich aus der Abhängigkeit von russischen Energieimporten befreien kann, nicht nur bei Gas, sondern auch in Sachen Öl und Kohle. Laut Kommuniqué planen sie eine Reihe von Maßnahmen. Putin könnte sich am Ende als beschleunigende Kraft für Europas Energiewende entpuppen. So wollen sich die Staats- und Regierungschefs unter anderem dazu verpflichten, den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen anzukurbeln. Wie von der Kommission vorgeschlagen sollen die Gaslieferungen aus Russland – rund 40 Prozent werden zurzeit von dort importiert – bis Ende des Jahres um zwei Drittel reduziert werden. Außerdem soll die Diversifizierung bei den Energiequellen durch die Verwendung von Flüssiggas (LNG) und den Ausbau der Versorgung mit Biogas und Wasserstoff vorangetrieben werden.

    Frankreichs Präsident will zudem die Gunst der Stunde nutzen, um sein Herzensprojekt voranzubringen. Macron wirbt seit Jahren für ein unabhängigeres Europa mit einer gestärkten gemeinsamen Verteidigung und einer bedeutenderen Rolle auf der Weltbühne. Nun wirkt es, als entwickele sich ausgerechnet Putin zum unfreiwilligen Förderer von Macrons Vision, Europa souveräner in sicherheitspolitischen Fragen zu machen.

    Gipfel sollte Aufschwung nach Corona-Pandemie thematisieren

    Ursprünglich hätte es der Sondergipfel der französischen Ratspräsidentschaft für ein „neues europäisches Wachstumsmodell“ werden sollen, bei dem man sich dem Aufschwung nach der Corona-Krise widmen wollte. Auch in diesem Bereich versucht Macron Druck zu machen, verlangte zuletzt immer wieder mehr ökonomische „Souveränität“. Offenbar verfolgt er Pläne, einen über gemeinsame EU-Schulden finanzierten „Resilienzfonds“ aufzulegen, nach dem Vorbild des Corona-Aufbaufonds.

    Kritiker, etwa aus Deutschland, den Niederlanden und Dänemark, winkten jedoch ab. Der Appetit ist gering bis nicht vorhanden, über neue Schulden zu diskutieren, wenn bislang „noch nicht einmal alle Mittel aufgebraucht sind, die auf dem Tisch liegen“, wie ein Diplomat betonte. Offizielle aus dem Kreis der Nordeuropäer verwiesen auf zur Verfügung stehende Gelder aus dem Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“, der als Reaktion auf die Pandemie aufgelegt wurde.

    Regierungs- und Staatschefs diskutierten auch EU-Mitgliedsantrag der Ukraine

    Ebenfalls Thema war der EU-Mitgliedsantrag der Ukraine. Wolodymyr Selenskyj wünscht einen EU-Beitritt im Schnellverfahren, doch allzu viel Hoffnung kann sich der ukrainische Präsident nicht machen. Während sich einige baltische und osteuropäische Länder zwar offen für die Idee zeigen, meinte der niederländische Premierminister Mark Rutte: „Einen beschleunigten Beitritt, so etwas gibt es nicht.“ Die meisten Staaten betrachten die jetzige Krise nicht als den richtigen Moment für derartige Diskussionen. Vielmehr will Europa den Menschen so viel Solidarität vermitteln wie möglich. So ist etwa ein intensiveres Assoziierungsabkommen im Gespräch wie auch eine Aufnahme der Ukraine in europäische Programme wie beispielsweise Erasmus.

    Man suche nach Möglichkeiten, die Ukrainer noch stärker an die Gemeinschaft zu binden, meinte ein Diplomat. Die Botschaft: „Ihr seid Teil der europäischen Familie, ihr liegt uns am Herzen.“ Ob das ausreicht für die Ukraine? Für Russland immerhin hat man in der Versailler Erklärung eine weitere Warnung parat: „Wir sind bereit, schnell zu reagieren, wenn weitere Sanktionen nötig sein sollten.“ Was das konkret heißt, ließ man derweil offen.

    Alle Informationen zur Eskalation erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

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