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Europäische Union: Korruptionsaffäre im EU-Parlament löst Fassungslosigkeit und Entsetzen aus

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Korruptionsaffäre im EU-Parlament löst Fassungslosigkeit und Entsetzen aus

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    Eva Kaili, eine der 14 Vizepräsidentinnen des EU-Parlaments, wurde suspendiert und festgenommen.
    Eva Kaili, eine der 14 Vizepräsidentinnen des EU-Parlaments, wurde suspendiert und festgenommen. Foto: Christophe Licoppe, dpa

    Beobachter sprechen bereits vom „schwersten“ und „ungeheuerlichsten“ Korruptionsskandal, der das politische Brüssel seit Jahren erschüttert hat. Dem EU-Parlament droht ein ungeheurer Image-Schaden, dementsprechend groß ist die Empörung. Im Zentrum der Affäre steht Eva Kaili, die mittlerweile suspendierte Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, die am Freitag mit vier weiteren Personen festgenommen wurde. Am Samstag folgte eine weitere Festnahme.

    Der Verdacht wiegt schwer. Es geht laut Polizei um „bandenmäßige Korruption und Geldwäsche“. Während zwei Personen zwischenzeitlich wieder freigelassen wurden, erließ die belgische Staatsanwaltschaft am Sonntag dann Haftbefehl gegen vier Verdächtige. Nach übereinstimmenden Medienberichten ist auch die Griechin Kaili darunter. „Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt“, hieß es. Der Golfstaat Katar soll mit beträchtlichen Geldsummen und Geschenken versucht haben, Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen. 

    Kommen Säcke voller Bargeld aus Katar?

    Die Details klingen wie aus einem Film. Kailis Vater soll mit „einem Koffer“ mit einer großen Menge Bargeld gerade zu fliehen versucht haben, als die Beamten am Freitag in der privaten Wohnung der Politikerin eintrafen. Bei der Durchsuchung seien dann weitere „Säcke voller Geldscheine“ entdeckt worden. Insgesamt wurden bei den Razzien 600.000 Euro in bar sowie Telefone und Computer sichergestellt. Neben Kaili wurden vier Italiener festgenommen, darunter ein ehemaliger EU-Abgeordneter und Kailis Lebensgefährte Francesco Giorgi. Er ist parlamentarischer Mitarbeiter der sozialdemokratischen Fraktion im Parlament. 

    Eva Kaili war bei der Fußball-WM und lobte dann Katar

    Im November erst war Kaili nach Katar gereist, wo sie die „Reformen" in dem Golfstaat begrüßt hatte. Offenbar saß die 44-Jährige auch beim Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft am 20. November im Stadion. Doha sei „ein Vorreiter in Sachen Arbeitsrechte", hatte sie anschließend im EU-Parlament gelobt – und damit heftige Reaktionen von Kollegen geerntet. Die ehemalige Nachrichten-Moderatorin saß für die griechische Pasok-Partei im Parlament, die zusammen mit der SPD zur sozialdemokratischen Fraktion gehört. Mittlerweile wurde Kailis Mitgliedschaft suspendiert.

    Die aktuellen Vorwürfe der Bestechung und Bestechlichkeit wie auch der Verdacht der Geldwäsche sandten Schockwellen durch das Parlament, das sonst stolz auf seine Rolle als einzige Institution der EU ist, die direkt vom europäischen Volk gewählt wird. Die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Roberta Metsola, entzog Kaili „mit sofortiger Wirkung alle Befugnisse, Pflichten und Aufgaben“ als ihre Stellvertreterin. Bislang war sie eine von 14 Vizepräsidentinnen und -präsidenten des EU-Parlaments.

    Man könne sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu laufenden Ermittlungen äußern, sondern nur bestätigten, dass das Parlament „uneingeschränkt“ mit den zuständigen Strafverfolgungs- und Justizbehörden zusammenarbeite, sagte Metsola. „Wir werden alles tun, was wir können, um den Lauf der Gerechtigkeit zu unterstützen.“

    Schwäbischer CSU-Abgeordneter Ferber "tief erschüttert"

    Katarina Barley, SPD-Abgeordnete und ebenfalls Vizepräsidentin des EU-Parlaments, zeigte sich „wütend“ über die Nachrichten und forderte „volle Transparenz und Aufklärung“. Korruption sei „ein schweres Vergehen an der Demokratie“, so die ehemalige Bundesjustizministerin. Der schwäbische CSU-Abgeordnete Markus Ferber zeigte sich „tief erschüttert" über die massiven Anschuldigungen. "Ein solch tiefgehender Vorgang war für mich wirklich unvorstellbar" sagte Ferber unserer Redaktion.

    Da die Ermittlungen auch Mitarbeiter einer Fraktion und einer Abgeordneten betreffen, müssten die EU-Politiker ernsthaft über Konsequenzen nachdenken. "Auch die Rolle ehemaliger Abgeordneter und ihre privilegierten Zugänge muss überprüft werden", forderte Ferber. Das Parlament müsse jetzt eng mit den belgischen Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten und aus den Ermittlungsergebnissen die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.

    Der Sitz des Europäischen Parlaments in Brüssel.
    Der Sitz des Europäischen Parlaments in Brüssel. Foto: Michael Kappeler, dpa

    „Fassungslos“ sei er, sagte der CDU-Europaparlamentarier Dennis Radtke, „dass sich offenbar führende Mitglieder des Europäischen Parlaments gegen hohe Geldsummen haben kaufen lassen, um politisch für Staaten zu werben, die Menschen- und Arbeitsschutzrechte mit Füßen treten.“ Er fürchtet um das Ansehen des Parlaments „durch die Geldgier einzelner Abgeordneter“. Radtke forderte eine Überprüfung, „ob das Lobbyregister und die Transparenzregeln ausreichen, um eine Beeinflussung von Abgeordneten durch Drittstaaten oder Interessengruppen auszuschließen“. Eigentlich gebe es in Brüssel relativ gute Lobbying-Regeln, meinte der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. „Doch Drittländer sind davon bisher völlig ausgenommen.“ Hier müsse die EU „sofort nachbessern“. 

    Die Empörung zog sich durch alle Parteien und Fraktionen. „Allein der Verdacht der Korruption und Bestechlichkeit beschädigt Reputation und Glaubwürdigkeit des EU-Parlaments“, sagte Terry Reintke, Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Auch mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn müsse „völlig klar sein“, dass das Abgeordnetenhaus seine Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setze. 

    In der Bundespolitik sieht man es ebenso: "Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten - und darauf deutet im Moment alles hin -, muss sie nicht nur das Vizepräsidentamt, sondern auch das Mandat niederlegen", sagte Grünen-Politiker Toni Hofreiter unserer Redaktion über Eva Kaili. Hofreiter ist Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestages. "Überdies braucht es eine Verschärfung der Lobbyregeln im Umgang mit Lobbyisten aus Ländern außerhalb der EU", forderte er. 

    Abstimmung über Visumspflicht für Menschen aus Katar auf der Kippe

    Eigentlich waren für diese Woche Verhandlungen zwischen Parlament und den 27 Mitgliedsstaaten über den Kommissionsvorschlag geplant, Katar zur Liste jener Länder hinzuzufügen, deren Bürger für Reisen unter 90 Tagen kein Visum für die Einreise in die EU brauchen. Würde das Parlament im Schatten dieses Skandals wirklich über Visaerleichterungen für den Golfstaat abstimmen? Zahlreiche Abgeordnete forderten bereits eine Aussetzung der Gespräche, bis mehr Informationen über die Vorwürfe bekannt sind. 

    Einem Bericht des ZDF zufolge, soll Eva Kaili in einem EU-Ausschuss "heimlich" abgestimmt haben, als es um Visa-Erleichterungen für Katar ging. Dabei ist die Politikerin im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres gar kein Mitglied. 

    "Die Verhandlungen mit Katar über Visaregelungen müssen erstmal gestoppt werden - und es muss geklärt werden, ob durch Korruption Einfluss genommen wurde auf die Verhandlungen", sagte auch Hofreiter. 

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