Finanzberater raufen sich vermutlich die Haare, wenn sie Hadja Lahbibs Kontostand sehen. 184.430 Euro liegen auf dem Bankkonto der scheidenden belgischen Außenministerin, die demnächst als EU-Kommissarin die Anstrengungen der Gemeinschaft im Krisenmanagement und bei der humanitären Hilfe koordinieren soll. Dafür scheint Lahbib keinerlei Aktien zu besitzen. So jedenfalls steht es in der Erklärung der Belgierin, die sie dem Rechtsausschuss des EU-Parlaments übergab. Einen Interessenkonflikt zwischen ihrem Vermögen und ihrem neuen Job konnten die meisten Mitglieder nicht erkennen.
Auch alle anderen 25 Kandidaten erhielten am Donnerstag während der Sitzung des Komitees grünes Licht – zum Ärger eines kleinen Teilnehmerkreises. So verließen aus Protest die Parlamentarier der Grünen und der Linken den Raum, um „ein Zeichen für mehr Transparenz und Gründlichkeit in der Überprüfungspraxis zu setzen“, wie der Grüne Sergey Lagodinsky sagte. „Es ist für uns nicht hinnehmbar, dass der laufende Prozess diesmal nicht vom Interesse an Fakten geleitet wird, sondern von der Angst der großen Parteien, ihre Kandidaten und Kandidatinnen zu verlieren.“ Er meint, dass Fraktionen nicht genauer hinschauen wollen, weil sie Sorge haben, die anderen Parteien könnten dann aus Rache den eigenen Bewerber durchfallen lassen. Statt nach konkreten Informationen zu fragen, sei der Ausschuss laut Lagodinsky erstarrt und habe „mit Angstmehrheiten die Prüfung überhastet und schlecht informiert durchgepusht“.
Jetzt kommen die Anhörungen und die Abstimmung Ende November
Bevor die politischen Anhörungen beginnen und Ende November das Hohe Haus Europas über die gesamte Kommission abstimmen wird, war der Ausschuss aufgerufen, die Vermögenserklärungen der 26 Kandidaten zu überprüfen. Damit sollten mögliche Interessenkonflikte festgestellt werden. Besitzt ein Bewerber eine Gasfirma und soll künftig in der Brüsseler Behörde den Bereich Energie betreuen? Ist eine Kandidatin trotz eines durchschnittlichen Beamtenjobs in den letzten Jahren aus unerfindlichen Gründen reich geworden? Die EU-Abgeordneten sollten Auffälligkeiten nachgehen. Herausgekommen sei „eine Farce“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund. Es handele sich um ein „Scheinverfahren“, das „völlig unbrauchbar“ dafür sei, dass die Kommission „am Ende sauber ist“.
So sollten die designierten Kommissare auf einem Fragebogen alle Vermögenswerte über 10.000 Euro eintragen. Doch einige gaben mehr oder weniger leere Blätter ab. Beim Kandidaten des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron etwa, Stéphane Séjourné, liegen die Lebenslaufangaben zwar vor, aber die relevanten Antwortboxen auf den acht Seiten blieben leer. Dabei hatte er während seiner Zeit als EU-Abgeordneter noch strengere Transparenzregeln verlangt. Wie auch andere Kandidaten verwies er darauf, dass sein Vermögen keinen Anlass für mögliche Interessenkonflikte gebe. Doch haben das wirklich diejenigen zu entscheiden, die überprüft werden sollen? Und wenn der italienische Kandidat Raffaele Fitto zwar erklärt, mehrere Apartments in Rom, Lecce, Maglie und Otranto zu besitzen, aber gleichzeitig den Wert der Immobilien weglässt, wie glaubwürdig sind dann solche Prüfungen?
In den USA müssen Politiker weit mehr preisgeben
In den USA legen die meisten Politiker in der Regel ihre Einkommensquellen und Investitionen bis ins Detail offen. In Europa erfahren die Bürger dagegen deutlich weniger über den Vermögensstand ihrer Spitzenbeamten und Volksvertreter. Freund wünscht sich deshalb nach dem US-Vorbild unabhängige externe Prüfinstanzen.
Der reichste designierte Kommissar dürfte laut Erklärungen mit Abstand der Grieche Apostolos Tzitzikostas sein, der aus einer wohlhabenden Familie stammt. Seitenweise listet er erstaunlich präzise seine etlichen Wohnungen und Ländereien auf. Zudem erfährt die Öffentlichkeit, dass er Anteile an mehreren großen Parkplatzflächen hält und Lagerräume sowie Ladengeschäfte in Thessaloniki und Piräus besitzt.
Für ein Schmunzeln sorgten derweil die Erklärungen des Ungarn Oliver Varhelyi, der künftig als Kommissar für Gesundheit und Tierwohl zuständig sein soll. Wollte der Vertraute von Viktor Orbán mit besonderer Transparenz glänzen oder nahm er die Sache einfach nicht ernst? Varhelyi führte unter dem Punkt „assets/investments“ (Kapitalanlagen/Investments), sowohl einen Lexus NX350H, Baujahr 2024, als auch einen BMW 320i, Baujahr 1992, sein Eigen zu nennen. Der eine Wagen ist 61.000 Euro wert, das Auto aus bayerischer Produktion 11.000 Euro. Die Liebe zum Auto dürfte ihn beim Thema Tierwohl kaum in Interessenkonflikte bringen. Im Übrigen würden Experten auch ihm eine Finanzberatung empfehlen. Auf Varhelyis belgischem Sparkonto liegen 260.000 Euro.
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