Es ist wieder eine dieser bunten Broschüren mit hübschen Grafiken und Schaubildern. Auf 32 Seiten werden darin die Verdienste der Europäischen Kommission ausgebreitet. Seit gestern liegt das Heft bei den Dienststellen der Europäischen Kommission aus. Schließlich sind Präsidentin Ursula von der Leyen und ihr Team am Dienstag ein Jahr im Amt. Die Marketing-Experten der EU-Behörde haben wieder einmal ganze Arbeit geleistet: Die Chefin wird bei einer virtuellen Konferenz gezeigt, von den Mitgliedern ihrer Mannschaft fehlen Fotos. Eine One-Woman-Show. Das ist von der Leyens Stärke und zugleich ihr größtes Problem.
Ursula von der Leyen hat sich viel vorgenommen
Schon die ersten Tage ihrer Amtszeit begannen mit großen Worten. Der Green Deal, also der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft auf eine klimaneutrale Zukunft hin, verglich von der Leyen mit der „Mondlandung“. Ob Industrie-Strategie oder Digitalisierung – die Präsidentin blieb bei ihrer Linie, Vorhaben erst vollmundig anzukündigen und die Details auf später zu verschieben. Als vor wenigen Wochen dann zu einem dieser Projekte die Details zuerst durchsickerten, war die Harmonie dahin. Es ging um die künftigen Grenzwerte für Pkw sowie die für Ende nächsten Jahres geplante Euro-7-Abgasnorm. Das Papier enthielt so viel technischen Unsinn, dass es den Kritikern leichtfiel, es in der Luft zu zerreißen. „Sie weiß, wie man etwas verkauft, ohne zu wissen, was sie verkaufen soll“, sagen Kritiker.
In der Coronavirus-Krise lief von der Leyen zunächst den Mitgliedstaaten hinterher. Selbst Amtsvorgänger Jean-Claude Juncker bilanzierte vor wenigen Tagen mitleidig: „Man kann niemandem erklären, dass Europa grenzenlos ist, und wenn etwas passiert, werden die Grenzen wieder hochgezogen.“ Von der Leyen machte erst wieder Boden gut, als ihre Behörde in die Verhandlungen mit den Pharmariesen einstieg und bis heute fast 1,5 Milliarden Impfdosen sicherte. „Sie hat sich ganz gut geschlagen“, sagte in diesen Tagen die Grünen-Fraktionschefin Ska Keller.
Auch von der Leyens Kritiker sagen: "Es war nicht alles schlecht"
Das wirklich „große Ding“, so der Vorsitzende der deutschen SPD-Abgeordneten im EU-Parlament, Jens Geier, gelang ihr, als sie einen Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron regelrechte okkupierte und noch drauflegte. Die beiden wollten 500 Milliarden für den Wiederaufbau nach der Pandemie bereitstellen. Von der Leyen machte 750 Milliarden daraus. Und verkaufte den Erfolg einmal mehr schillernd: Das Paket aus 1,1 Billionen Euro für den Haushalt 2021 bis 2027 plus Aufbaufonds erhielt den Projektnamen „Next Generation EU“.
Aber sogar Kritiker räumen ein: „Es war nicht alles schlecht“, wie es der CDU-Europapolitiker Dennis Radtke ausdrückte. Dass Polen und Ungarn gerade das Milliarden-Hilfspaket der EU blockieren, kann man in der Tat nicht von der Leyen anlasten. Für ihr heutiges erstes Amtsjubiläum sei kein besonderer Auftritt geplant, hieß es am Montag in Brüssel. Soll heißen: Die Präsidentin hat zu viel zu tun.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ein Jahr im Amt: So schwer hat es Ursula von der Leyen in Brüssel