Als die G7-Staaten im Juni ein Unterstützungspaket in Form eines Kredits im Wert von umgerechnet rund 46 Milliarden Euro für die Ukraine schnürten, sprach Bundeskanzler Olaf Scholz im Anschluss von einem „historischen Schritt“. Die westlichen Industriestaaten wollten die Hilfen für das kriegsgebeutelte Land mit Blick auf die US-Wahl „Trump-fest“ machen, zudem die eigenen Haushalte entlasten. Vier Monate später sind die Lobgesänge verstummt, denn zwischen Brüssel und Washington stocken die Gespräche über die erforderlichen Garantien des Darlehens. Die von den Amerikanern zugesagten 20 Milliarden Dollar sind bislang nicht bewilligt. Deshalb will die EU den US-Anteil nun übernehmen. Am Montag gaben die EU-Außenminister bei ihrem Treffen in Luxemburg Kredite von bis zu 35 Milliarden Euro frei. Mit den Finanzmitteln soll die ukrainische Regierung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj Waffen auf dem Weltmarkt kaufen sowie in die Energie- und Verkehrsinfrastruktur investieren können.
Den Anstoß lieferte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die kürzlich während ihres Besuchs in Kiew – offenbar in Eigenregie – vorgeschlagen hatte, den ursprünglich geplanten Betrag von 20 Milliarden Euro fast zu verdoppeln, um zu verhindern, dass das Projekt platzt. „Idealerweise“, so hieß es von einem Diplomaten, würde man den Kredit durch die sogenannten „windfall profits“ abbezahlen. Dabei handelt es sich um „Zufallsgewinne“ aus Zinserträgen aus eingefrorenem russischem Staatsvermögen. Etwa 260 Milliarden Dollar wurden seit Wladimir Putins Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 in westlichen Ländern blockiert, rund 200 Milliarden davon liegen allein in der EU. Die anfallenden Zinsen stehen Russland nach der Rechtsauffassung der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten nicht zu. Nun sollen sie als Absicherung für die Kredite dienen.
Zugriff auf russische Zinsen ist für die EU heikel
Doch es gibt einen Haken und der könnte sich für Europas und Amerikas Steuerzahler als teuer entpuppen. Darauf weist auch die US-Regierung mit ihren Zweifeln hin. So besteht Washington darauf, dass die EU den Zeitrahmen der Sanktionen gegen Moskau auf mindestens 36 Monate verlängert, um eine termingerechte Rückzahlung zu sichern. Aktuell müssen die EU-Strafmaßnahmen alle sechs Monate von den 27 Mitgliedstaaten erneuert werden, was Ländern wie Ungarn jedes Halbjahr die Möglichkeit eines Vetos bietet. Darauf will Budapest nicht verzichten, Viktor Orbán weigert sich vehement, Änderungen an der Laufzeit mitzutragen. Falls aber die „windfall profits“ eines Tages wegfielen, weil die Vermögenswerte nicht mehr länger eingefroren und von Moskau abgezogen sind, dann wären die nationalen Regierungen gezwungen, Haushaltsgelder in Milliardenhöhe für die Rückzahlung des Kredits zu verwenden – eine Option, die man in Brüssel derzeit noch allzu gerne ignoriere, hieß es kleinlaut von EU-Vertretern hinter den Kulissen.
Auf der Agenda der Außenminister stand zudem der Iran. So machten sie mit der Drohung ernst, neue Sanktionen zu verhängen. Die Gemeinschaft beschuldigt Teheran, Russland mit Drohnen, Raketen und entsprechender Technologie zur Unterstützung des Angriffskriegs gegen die Ukraine zu versorgen. Es gebe „ganz klare Belege, dass der Iran ballistische Raketen geliefert hat“, sagte die grüne Staatsministerin Anna Lührmann, die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Luxemburg vertrat. Das sei „nicht mit der Pflicht auf Frieden zu vereinbaren“. Laut offiziellen US-Angaben handelt es sich bei den gelieferten Raketen um Kurzstreckenraketen vom Typ Fath 360. Sie haben schätzungsweise eine Reichweite von etwa 120 Kilometern und ermöglichen es Russland nach Einschätzung von Militärs, eigene Raketen mit größerer Reichweite für andere Einsätze zu reservieren.
Teheran bestreitet die Lieferung von Raketen an Moskau. Die nun beschlossenen Strafmaßnahmen treffen 14 Unternehmen, Einrichtungen und Personen, die an der Entwicklung und Lieferung dieser Waffen beteiligt seien, darunter auch Rüstungshersteller und die staatliche Fluggesellschaft Iran Air sowie Saha Airlines und Mahan Air. Damit dürften deren Maschinen keine europäischen Flughäfen mehr anfliegen. Die in der EU liegenden Vermögen der sanktionierten Einzelpersonen und Firmen werden eingefroren.
Als Gast an der Zusammenkunft nahm der britische Außenminister David Lammy teil. Ein Zeichen der Annäherung zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich? Die beiden Seiten betonten die gemeinsamen Interessen in Sicherheitsfragen. Tatsächlich war es das erste Mal seit dem Brexit, dass ein Chefdiplomat aus London einem EU-Rat für Auswärtige Angelegenheiten beiwohnte. Die Sicherheit seines Landes und Europas nannte Lammy „untrennbar“.
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