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Europäische Union: Brüssel kommt den Landwirten weiter entgegen

Europäische Union

Brüssel kommt den Landwirten weiter entgegen

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    Protest zeigt Wirkung: Traktoren blockierten in den letzten Wochen immer wieder wichtige Straßen in Brüssel. Nun wollen die Regierungschefs die Landwirte entlasten.
    Protest zeigt Wirkung: Traktoren blockierten in den letzten Wochen immer wieder wichtige Straßen in Brüssel. Nun wollen die Regierungschefs die Landwirte entlasten. Foto: Benoit Doppagne, dpa

    Die belgische Polizei war vorbereitet auf protestierende Bauern, die sich mit ihren Traktoren für den EU-Gipfel in Brüssel angekündigt hatten. Doch auch am zweiten Tag des Spitzentreffens herrschte statt Dauerhupenlärm Ruhe rund um das Ratsgebäude im Europaviertel. Dabei standen die Landwirte im Fokus der Gespräche der 27 Staats- und Regierungschefs am Freitagnachmittag. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach im Anschluss von einem „sehr praktischen, moderaten Weg“, den man diskutiert habe und der alle Beteiligten in einem Boot versammele. „Wir haben uns darüber verständigt, dass wir das ganze europäische landwirtschaftliche Förderungs- und Regulierungsregime modernisieren müssen, damit es einfacher, effizienter, unbürokratischer wird“, sagte der SPD-Politiker bei der Presskonferenz nach dem Gipfel. 

    In der gemeinsamen Abschlusserklärung betonten die Staatenlenker, dass die Position von Landwirten innerhalb der Lieferketten für Lebensmittel gestärkt und Bauern ein angemessenes Einkommen ermöglicht werden solle. Konkrete Maßnahmen wurden zwar nicht genannt. Er erwarte aber von der EU-Kommission diesbezüglich „sehr weitreichende Vorschläge“, sagte Scholz, möglichst noch vor den Europawahlen Anfang Juni, „damit die Bürger auch entscheiden können“.

    Die Proteste der Bauern verfehlen ihre Wirkung nicht

    Dabei liest sich die Liste der Zugeständnisse schon jetzt lang. Seit Monaten zeigen die EU-Politiker demonstrativ Verständnis für die Bauernproteste – oder knicken sie vor der Agrarlobby ein, wie Kritiker monieren? Die Angst vor einem Rechtsruck im Schatten der Bauernrevolte ist groß. Deshalb haben sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments gerade erst darauf geeinigt, zur Unterstützung europäischer Landwirte wieder Zölle auf hohe Mengen von Agrarprodukten wie Eier, Geflügel und Zucker sowie Mais, Hafer, Grütze und Honig aus der Ukraine einzuführen.

    Derweil stellte die EU-Kommission am Donnerstagabend einen Plan vor, Importzölle auf Getreide und Ölsaaten aus Russland und Belarus zu erheben. Damit wolle man nach eigenen Angaben zum einen die Einfuhr dieser Produkte unrentabel machen, und zum anderen der Praxis Russlands ein Ende setzen, gestohlenes ukrainisches Getreide illegal in die EU zu exportieren. In den nächsten Wochen dürften weitere Besänftigungsversuche in Richtung von Europas Bauern hinzukommen. „Sie machen sich berechtigterweise Sorgen um ihre Zukunft“, begründete von der Leyen am Freitagnachmittag. Man habe zugehört und gehandelt. Insbesondere die Bürokratie soll abgebaut werden.

    Die EU scheint den Grünen Deal abzuwickeln

    Tatsächlich scheint die EU derzeit den Grünen Deal, das Herzensprojekt der Deutschen, abzuwickeln. Bereits im Februar hatte die Kommission einen Vorschlag für ein Umweltschutzgesetz gegen Pestizide zurückgezogen, demzufolge Europas Bauern den Einsatz von Pflanzenschutzmittel bis 2030 hätten halbieren müssen. Auch die Vorgabe, dass Landwirte in der EU vier Prozent ihrer Flächen zum Wohle der Artenvielfalt stilllegen müssen, ist ausgesetzt. Um die Umwelt zu schützen, sind bisher Bauern dazu verpflichtet, einen Teil ihrer Ackerfläche brach zu legen oder unproduktiv zu nutzen. Die Voraussetzung, um die Ausnahme in Anspruch nehmen zu können, lautet, dass die Bauern im Gegenzug auf vier Prozent ihrer Ackerflächen stickstoffbindende Pflanzen wie Linsen oder Erbsen anbauen müssen. 

    Außerdem will Brüssel bei Landwirtschaftsbetrieben unter einer Größe von zehn Hektar nicht mehr kontrollieren, ob sie Umweltauflagen einhalten. Vorschriften zum Fruchtwechsel sollen ebenfalls weniger strikt angewendet werden. Neben der Lockerung von Umweltvorgaben hat die Kommission Vereinfachungen bei den Dokumentationspflichten in Aussicht gestellt. Auch soll es Landwirten beispielsweise erlaubt sein, mehr Wiesen in Ackerland umzuwandeln, was insbesondere Tierhalter gefordert hatten, die auf den Getreideanbau umgestellt haben. 

    Das Renaturierungsgesetz wurde spürbar abgeschwächt

    Das umstrittene Renaturierungsgesetz zur Wiederherstellung der Natur wurde extrem abgeschwächt, sollte die Verordnung es überhaupt über die Ziellinie schaffen. Auch andere Richtlinien ähneln kaum noch den ursprünglichen Plänen. Und obwohl die EU-Kommission Freihandel zu einem ihrer Kernanliegen gemacht hatte, steht das Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten in Südamerika kurz vor dem Aus. Es sollte eigentlich dazu beitragen, dass sich Europa autonomer aufstellen und sich ein Stück weit von der Abhängigkeit mit China lösen kann. Neben geopolitischen Vorteilen für die Union würden insbesondere exportierende Unternehmen in der Gemeinschaft profitieren. Weil der Deal mehr Konkurrenz für europäische Landwirte bedeuten würde, gehen jedoch Bauern-Lobbyisten seit Jahren auf die Barrikaden – mit Erfolg, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – sprich: vor der Wahl. 

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