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Europäische Union: Bauernproteste in Brüssel: Mit verbrannten Autoreifen gegen das neue Klimagesetz

Europäische Union

Bauernproteste in Brüssel: Mit verbrannten Autoreifen gegen das neue Klimagesetz

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    Ein Demonstrant verbrennt eine Fahne während einer Demonstration von Landwirten im Europaviertel vor einem Treffen der EU-Agrarminister.
    Ein Demonstrant verbrennt eine Fahne während einer Demonstration von Landwirten im Europaviertel vor einem Treffen der EU-Agrarminister. Foto: Benoit Doppagne, dpa

    Protest? „Das ähnelt einem Bürgerkrieg“, sagt ein schockierter Ordner und zeigt auf das Chaos im Brüsseler Europaviertel. In der Luft hängt der Rauch von angezündetem Stroh und verbrannten Autoreifen. Überall verstreut liegen Mist und Gülle, den aufgebrachte Bauern mit ihren Traktoren in die Straßen geschossen haben. Das Hupkonzert von rund 900 Traktoren ist noch kilometerweit entfernt zu hören. Der Protest der Landwirte ist am Montagvormittag in

    Er arbeite seit sieben Jahren in der belgischen Hauptstadt, aber er habe noch nie eine solche „Mobilmachung von Gewalt“ erlebt, sagt ein EU-Beamter, der Schwierigkeiten hatte, ins Büro zu gelangen. Einige Bauern richteten Pyrotechnik auf die Beamten, andere durchbrachen mit ihren schweren Schaufeln Betonblocks, Stacheldraht und Polizeisperren. Um die Demonstranten zurückzuhalten, setzten die Sicherheitskräfte Wasserwerfer und Tränengas ein. Wie von den wütenden Protestlern gewünscht, blieben die dramatischen Szenen auch den 27 EU-Agrarministern nicht verborgen, die in Brüssel zusammenkamen und über Vorschläge der EU-Kommission berieten, die Landwirte weiter zu entlasten und den Verwaltungsaufwand zu verringern. Die Politiker zeigten Verständnis. Man hoffe, „eine deutliche Botschaft” an Europas Bauern aussenden zu können, sagte die finnische Landwirtschaftsministerin Sari Essayah: „Wir sind auf deren Seite.” Die Forderungen der Aufgebrachten: Sie verlangen einen Abbau der Bürokratie, weniger Umweltauflagen, keine Subventionskürzungen – dafür gehen sie seit Wochen in allen Teilen der Union auf die Straße. Und der europäische Gesetzgeber versucht, die Gemüter mit Entlastungen zu besänftigen. Drei Monate vor den EU-Wahlen ist die Sorge in Brüssel groß, dass die Rechtspopulisten von der Wut der Demonstranten profitieren werden.

    Gesetz zur Wiederherstellung der Natur wackelt

    Ausgerechnet in der aufgeladenen Atmosphäre wollen die Europaabgeordneten am Dienstag eines der umstrittensten Naturschutzvorhaben der Union final absegnen. Das Parlament stimmt in Straßburg über das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ab, mit dem die EU die Mitgliedstaaten dazu verpflichten will, einen Teil der Ökosysteme auf dem Land wie im Wasser bis 2030 in einen möglichst natürlichen Zustand zurückzuführen. Es geht bei einem der zentralen Pfeiler der Biodiversitätsstrategie etwa darum, trockengelegte Moore wieder zu vernässen, Seegras auf dem Meeresboden anzupflanzen und Wälder aufzuforsten. Im November hatten sich die Unterhändler des Parlaments und des Rats, also des Gremiums der 27 Mitgliedstaaten, auf einen Kompromiss geeinigt, der den Protest der Landwirte berücksichtigte, wie Kritiker betonen.

    Manfred Weber wollte das Klimaschutzgesetz blockieren

    So wimmelt es in dem Gesetzestext von flexiblen Formulierungen, Ausnahmen und Notbremsen, auch wenn die Zielmarke des Gesetzes weiter besteht: Die EU-Länder sind angehalten, bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Landflächen und 20 Prozent der Meeresgebiete Wiederherstellungsmaßnahmen durchzuführen. 

    Trotz der abgeschwächten Verordnung, mit der Bauern künftig – anders als ursprünglich geplant – nicht verpflichtet werden sollen, einen bestimmten Prozentsatz ihres Landes für umweltfreundliche Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, kündigte die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) gestern Abend an, gegen das Gesetz stimmen zu wollen. Könnte damit das Gesetz gekippt werden? Zwar pries EVP-Chef Manfred Weber erst vergangene Woche seine Partei als die des Grünen Deals an, aber 2023 hatte der CSU-Politiker schon einmal den Aufstand geprobt. Aufgeschreckt von der Bauernrevolte verfolgte die EVP das Credo, nach dem der Grüne Deal weder die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gefährden noch die Farmer überbelasten dürfe. Mit seinem Versuch, das Renaturierungsgesetz zu versenken, scheiterte Weber damals. Nun wagt er einen neuen Versuch, obwohl die Unterhändler, so betonte die EU-Abgeordnete Jutta Paulus (Grüne) gestern, „die lange Liste der EVP-Bedenken minutiös abgearbeitet und adressiert“ hätten. „Sie haben alles bekommen, was ihnen wichtig war.“ Als „Moment der Wahrheit für die EVP“ bezeichnete Terry Reintke, Ko-Vorsitzende der Grünen im EU-Parlament, denn auch das Votum.

    Dass insbesondere im Kreis der Grünen die Nervosität in Sachen Renaturierungsgesetz zuletzt zugenommen hat, liegt nicht nur an der EVP, sondern auch an Änderungsanträgen, die Vertreter der rechten EKR-Fraktion eingebracht haben. Diese „sehen erst einmal harmlos aus”, sagte Paulus. Aber: Sie könnten die Verordnung tatsächlich kippen. Denn sollten die Anträge, die ganze Artikel im Gesetz betreffen, im Plenum eine Mehrheit finden, müsste die Verordnung in die zweite Lesung. Damit würde das Paket nochmals aufgeschnürt, Parlament und Rat wären gezwungen, nachzuverhandeln. Man würde das Gesetz „ins prozedurale Nirvana schicken“, sagte Paulus, da in dieser Legislaturperiode nicht genügend Zeit für das langwierige und komplizierte Verfahren bleibt.

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