Vielleicht war der Sommer schuld. Jedenfalls konnten die Christdemokraten selbst mit ihrer Geschichte über den Weihnachtsmann nichts mehr ausrichten. Der, so hieß es in einer Kampagne der Europäischen Volkspartei (EVP), würde durch das geplante EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur aus seiner finnischen Heimat vertrieben werden, da die Stadt Rovaniemi dann einem Wald weichen müsste. Nach wochenlangen und erbittert geführten Streitereien hatte die Debatte dieses bescheidene Niveau erreicht. Am Ende konnten die Konservativen die überraschende Niederlage nicht mehr abwenden. 336 EU-Abgeordnete stimmten am Mittwoch in Straßburg für das sogenannte Renaturierungsgesetz, 300 sprachen sich dagegen aus. Damit bleibt ein wesentlicher Pfeiler des Grünen Deals bestehen.
Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur soll die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichten, 20 Prozent der Ökosysteme, auf dem Land wie im Wasser, bis 2030 in einen möglichst natürlichen Zustand zurückzuführen. Trockengelegte Moore würden wieder vernässt, Seegras auf dem Meeresboden angepflanzt, Wälder aufgeforstet und Städte begrünt.
Trotz einiger Kompromisse lobten viele Grüne das Naturschutz-Gesetz der EU
Auch wenn hinter den Kulissen zahlreiche Grünen-Politiker die Verwässerung des ursprünglichen Plans beklagten, lobte die überwältigende Mehrheit das Ergebnis. „Ein bisschen Naturschutz ist besser als gar keiner“, sagte etwa die EU-Abgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg (Grüne). „Wir haben den konservativen Blockadeversuch abgewehrt“, befand die SPD-Europaparlamentarierin Delara Burkhardt und sprach von „einem Dämpfer für Manfred Weber“. Der Chef der EVP sei mit seiner Strategie, „mit einer Desinformationskampagne und gemeinsam mit Rechtsaußen Politik zu machen“, gescheitert.
Die Christdemokraten hatten bemängelt, dass Landwirte durch die geplanten Schutzmaßnahmen zu sehr eingeschränkt würden. In der Regel versuchen die pro-europäischen Fraktionen im EU-Parlament in solchen Fällen, Vorlagen in ihrem Sinne zu verändern. Nun aber setzte die EVP auf Totalblockade. Die CDU-Europaabgeordnete Christine Schneider hob hervor, dass das Gesetz zuvor in drei Ausschüssen abgelehnt worden sei – der Grund, warum schlussendlich das Plenum votieren musste. Im nächsten Schritt beginnen die Verhandlungen mit den 27 EU-Staaten über den finalen Gesetzestext.
Die Verordnung sei „gut – für das Klima, für die Artenvielfalt, für die Bauern und für die Wirtschaft“, lobte die Grüne Jutta Paulus. Sie kritisierte die „destruktiven Ränkespiele“ der EVP. „Wir unterstützen keine Verbotspolitik, die zu einem Rückgang der land- und forstwirtschaftlichen Flächen führen wird und damit unsere Ernährungssicherheit gefährdet“, hielt CDU-Politikerin Schneider dagegen. Diesem gebetsmühlenhaft von den Konservativen vorgetragenen Argument widersprachen mehr als 3300 Wissenschaftler, die sich in einem offenen Brief für das Gesetz starkmachten. „Die größten Risiken für die Ernährungssicherheit gehen alle vom Klimawandel aus“, sagte der Biologe Helge Bruelheide von der Uni Halle und verwies auf die Unvorhersehbarkeit von extremen Wetterereignissen. „Ein sorgsamerer Umgang mit unseren Böden und die Erhaltung des Bodens durch Artenvielfalt sind entscheidend für die langfristige Sicherung unserer Ernährungsgrundlage.“
Doch aufgeschreckt von den Ergebnissen der Provinzwahlen in den Niederlanden, bei denen die rechtspopulistische Bauer-Bürger-Bewegung BBB von der Wut der Landwirte profitierte, aber auch mit Blick auf anstehende Wahlen verfolgten die Christdemokraten die Linie, das Naturschutzpaket der EU-Kommission zu bekämpfen. Dass die Konservativen aber ausgerechnet einen wichtigen Entwurf daraus zerschießen wollten, wurde in Brüssel deshalb mit Erstaunen verfolgt, weil Ursula von der Leyen (CDU) zur EVP gehört. Die Behördenchefin wird voraussichtlich 2024 als deren Spitzenkandidatin antreten. Von der deutschen Politikerin war in der Auseinandersetzung kein Wort zu vernehmen, wobei es von ihrem Sprecher kürzlich hieß, der Kommissionsvorschlag werde „voll und ganz“ von der Präsidentin unterstützt.
Die Stimmung war seit Tagen aufgeladen
Aufgeladen war die Stimmung seit Tagen, nicht nur im Parlament, sondern auch draußen, vor dem Hohen Haus Europas. Schon am Dienstag demonstrierten einerseits Klimaschutzaktivisten, darunter Greta Thunberg, für das Gesetz. Andererseits fuhren Vertreter von landwirtschaftlichen Organisationen, unter anderem vom Deutschen Bauernverband, mit dutzenden Traktoren auf, um gegen die Verordnung zu protestieren. Einige Landwirte fürchten massive Einbußen, wenn sie einen Teil ihrer Flächen nicht nutzen können oder der Einsatz von Pestiziden eingeschränkt wird. Andere Bauern dagegen begrüßen die Verordnung.